Der Sachse und die Sache

»Müllermontag« im Brecht-Haus: Jutta Hoffmann, B. K. Tragelehn, Holger Teschke und »Die Umsiedlerin«

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Sie sächsisch-anhaltinisch, er sächsisch. Sie lieblich-listig, er polternd direkt. Jutta Hoffmann und B. K. Tragelehn. Sein Sächsisch freilich nicht im gemütlichen Ton von »Sing, mei Sachse sing«, der »DDR-Spießer-Hymne« (Tragelehn), sondern in jenem breit-aggressiven Sound, der sich anmaßend forsch auf die Welt schmeißt und schmiert. Hoffmann und Tragelehn lesen aus Heiner Müllers Stück »Die Umsiedlerin«, und Holger Teschke befragt den Regisseur. »Müllermontag« im Literaturforum des Brecht-Hauses: »Der Resozismus im Abendlicht«.

Der Regisseur, Brechts letzter Meisterschüler, erzählt von der Uraufführung der »Umsiedlerin«. Kurz vor dem Mauerbau hatte er das Stück mit Studenten der Hochschule für Planökonomie Berlin-Karlshorst (»die Hopla«) inszeniert. Kollektivierung und Klassenkampf; das Dorf als die Welt - die stets mehr ist als das, was eine diktatorische Partei darunter verstehen will.

Die Aufführung gilt sofort als »konterrevolutionär, antihumanistisch«. Sie wird nach drei Abenden verboten, auch »wegen Hippietum und Pornografie«. Tragelehn erschrak damals vehement, ihm wurde plötzlich der Zutritt zur Spielstätte verboten - »ich bin in Panik davongestürzt, die Tiefe der Panik freilich entsprach der Wonne der Subversion«. Die offizielle Reaktion auf seine Arbeit offenbart, was die gesamte SED-Herrschaft durchzog, »Angst - von Leuten, denen die russischen Besatzer die Macht geschenkt hatten«. Die Angst war es, die aus Kommunisten »Gespenster« machte, vom Volk gefoppt, gefürchtet, gefüttert.

Damals, 1961, wird Tragelehn aus der SED geworfen. Kipper-Arbeit im Tagebau Klettwitz. Bewährung bei der führenden Klasse - als Strafaktion. Paul Dessau ist es, der eine Aufhebung des Berufsverbotes erwirkt - weitere Inszenierungs- und Hörspielversuche aber enden erneut im Verbot. 1975, nach Strindbergs »Fräulein Julie« am Berliner Ensemble (Jutta Hoffmann war die Protagonistin der verfemten Arbeit), wird Tragelehn gemeinsam mit Einar Schleef endgültig der DDR-Öffentlichkeit entzogen - er geht in den Westen (Stuttgart, Bochum, Frankfurt, München, Düsseldorf), übersetzt elisabethanisches Theater und avanciert zum Regisseur mit den meisten Müller-Inszenierungen.

Tragelehn lacht Erinnerung herbei: Volks Mund als Poesiequelle. Er saß damals in Klettwitz mit Arbeitern im »müden Licht der Schicht«, man wartete auf Abraum, und die zweckfreie Rede beim Zeitvertreib kam aufs Vaterunser, einer sagte: »Solchen Quatsch merkt man sich, aber gute Witze vergisst man.« Sind sie präziser benennbar, die Mysterien des Erzählens, des Glaubens, der Verarbeitung von Realität?

Er bezeichnet es »schon als halbe Kunst am Theater, eine Geschichte freizuhalten von Erklärungen«. Geschichte, das Doppelwort: Das »sozialistische« System ist (auch) daran gescheitert, dass die Erklärungen immer dem Leben vorauseilten, es einkeilten, ihm den Atem flach drückten. Und der Typ des weltanschaulich wachsamen Erklärers? Tragelehn widmete ihm vor Jahren ein Epigramm: »Mit all dem Zucker von Staat und Partei noch im Hintern was tut er/ Wichtig tut er und sich grundsätzlich immer noch leid.«

An solchen Abenden der frei flottierenden Pointen darf dem Beharren auf unbedingte Zusammenhänge kein gesetzgebendes Recht gestattet werden. Die Sätze müssen sich lösen dürfen und für sich selbst wirken. »Es geht zukünftig um einen Begriff von Kommunismus, der wetterfest und zugleich wandelbar ist, also: Unter dem Anspruch, das Unmögliche miteinander zu vereinen, geht da gar nichts.« Oder: »Einem Publikum ein Werk nahe bringen zu wollen, ist fade, denn jede Eigenart, jeder Eigensinn besteht auf Fremdheit - gutes Theater nähert sich nicht, es entfernt sich.« Oder: »Liquidation ist ein Begriff aus der Ökonomie; man sagt, die Sozialisten hätten nichts von Ökonomie verstanden - der zynische Gegenbeweis besteht darin, dass ausgerechnet der Begriff der Liquidation im 20. Jahrhundert eine erstaunliche linke Karriere machte.« Und bei Vergleichen von DDR und BRD steht für ihn fest, dass SED und CSU eine Hauptsache verbindet: »Die eine Partei war, die andere ist noch immer stramm antikommunistisch!«

Aber natürlich ist Tragelehn der alte unbekümmerte Wandergeselle auf Widerspruchsfeldern. Die DDR sei natürlich »im Ansatz eine Befreiungsbewegung« gewesen - das gab der Kunst »enorme Impulse«, demnach muss man »dem Unrechtsstaat dankbar sein, dass er so ein Stück wie Müllers ›Umsiedlerin‹ hervorrief«. Ja ja, »Unrechtsstaat - jeder schreibt heute seine Lügen über die DDR vom anderen ab.« Das Land »war 1989 im Abendlicht ein paar Augenblicke schön«, aber letztlich »unrettbar, ein Sumpf«. Wenn Tragelehn vom »real existierenden Sozialismus« spricht, verwendet er gern Enzensbergers Verkürzung »Resozismus«.

Was hier notiert wird, klingt nach gewisser Ordnung. Stimmt nicht. Der Abend ist ein Geweb aus Interview-Lesung und spontaner Eingebung. Mal Szenenanalyse bis ins (zu) Kleinste, mal Themenweite bis sonst wohin. Brechts Methode, die Musik der Sprache, Volksgerichtshof und Moskauer Schauprozesse, die Demokratie-Selbstlügen der »ehemaligen« BRD. »Ich bin ein Veteran«, sagt Tragelehn und besteht somit auf der Freiheit einer Ausdrucksart, die souverän von heiterster Gelassenheit zur Gebotstafel wechselt. Der alte Theaterwolf - gewitzt meisterlich ein Meisterschüler seiner selbst.

Der Abend erinnert ein wenig an Müllers Bekenntnis, nach 1945 sei seine schönste Zeit gewesen, weil »alles kaputt« war. Immer eigentlich ist dieser Zustand: »alles kaputt«. Das Wozu des Lebens? Müller sah es im Engagement für das, was nicht funktioniert, was den Fehler ins Getriebe drückt, was sich dem Vormarsch der Maschine, also auch des funktionierenden Menschen, entgegenstellt. Tragelehns Pläsier.

Die Partei hatte 1961 in Bezug auf »Die Umsiedlerin« von »verbrecherischer Regie« gesprochen. Barbaren-Ton! Tragelehn lacht. Schönste Trefflichkeit, denn ohne kriminelle Energie entsteht keine Kunst. Auftrag der Kunst ist es, so schrieb Müller, »die Realität unmöglich zu machen«. Stoff sei dazu da, verbrannt zu werden. Verbrennung als Befreiung. Müller ganz nah bei Novalis: »Die Poesie ist das echt absolut Reelle«, und nun liest Holger Teschke noch den Schluss von des Romantikers »Ofterdingen«-Roman. Verse über das, was der Welt und ihren Katechisten des öden Realismus durch Poesie widerfährt: »Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren/ Sind Schlüssel aller Kreaturen/.../ Dann fliegt von Einem geheimen Wort/ Das ganze verkehrte Wesen fort.«

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal