Absage an Afghanistan

Das Innenministerium glänzt mit »großzügigen Aufnahmezusagen« und die Bundeswehr kooperiert mit Banden

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Bundesinnenministerium entschied, dass 182 afghanische Helfer der Bundeswehr nach Deutschland kommen dürfen. Sie sind das »gute Gewissen« abgebrühter »Entwicklungshelfer«.

Das Bundesinnenministerium hat 182 afghanischen Ortskräften – sogenannte Locals – eine Aufnahmezusage erteilt. Gemäß Paragraf 22 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes geschieht das aus »völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen« und ist mit einer Arbeitserlaubnis gekoppelt. Diese Entscheidung zeige, »dass die Bundesregierung ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den für deutsche Stellen tätigen afghanischen Mitarbeitern umfassend Rechnung trägt«, behauptet das Innenministerium.

Bislang, so sagt Brigadegeneral Michael Vetter, Chef der deutschen Truppen am Hindukusch, seien bei ihm 242 Gefährdungsanzeigen von aktiven und einstigen Hilfskräften eingegangen. Wie viele sind nicht zu ihm gelangt, weil sie auf dem Instanzenweg versackt sind oder abgelehnt wurden?

Zu Hochzeiten hatte die Bundeswehr in Kabul, Masar-i-Sharif, Faizabad, Kundus und Taloqan 1500 afghanische Angestellte. Derzeit sind es noch rund 1000. Weitere 180 sind vom Auswärtigen Amt und bei der Polizei angestellt. Sie arbeiteten als Dolmetscher, Wachleute, Mechaniker oder Küchenhilfen. Aus Sicht der Taliban und anderer Aufständischer sind sie Kollaborateure, die ihr Leben verwirkt haben.

Eigentlich müssten sie wie alle Afghanen doch in Sicherheit leben können, denn die westlichen Staaten haben sich – gemäß UN-Mandat – besonders um den Aufbau einer Zivilgesellschaft verdient gemacht. Deutschland war federführend beim Aufbau der nationalen Polizei (ANP). »Mit großem Engagement« habe sich die Bundesregierung am Aufbau »einer professionellen, ethnisch ausgewogenen, der Demokratie und den Menschenrechten verpflichteten afghanischen Polizei« beteiligt, heißt es in Berlin. Seit 2002 wurden durch das bilaterale Polizeiprojekt rund 60 000 Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für die afghanische Polizei durchgeführt. Seit 2008 seien die Mittel für den Aufbau der Polizei erheblich aufgestockt worden: 2008 gab man knapp 36 Millionen, 2009 über 50 Millionen sowie wie in den Jahren 2010 bis 2013 jeweils 77 Millionen Euro aus. Nun sei der Aufbau der Truppe abgeschlossen, sie bestehe aus 150 000 Polizisten.

Das mag rein rechnerisch stimmen, doch müssen die gerade vom afghanischen Innenministerium veröffentlichten Zahlen als Korrektiv angefügt werden: Allein in den vergangenen sieben Monaten sind fast 3000 Menschen durch Angriffe von Aufständischen ums Leben gekommen. Über 2000 von ihnen waren afghanische Polizisten. Wie viele afghanische Soldaten umkommen, hält keine Statistik fest. Zum Vergleich: Die USA, größter Truppensteller in Afghanistan, mussten seit 2001 exakt 2289 Tote und Verwundete beklagen.

Um die eigenen Verluste zu minimieren, begannen die USA bereits vor Jahren, neben den von Kabul aus befehligten Sicherheitskräften sogenannte lokale Polizeitruppen (ALP) aufzubauen, zu trainieren und auszurüsten. Die deutschen Verantwortlichen kritisierten diese Strategie ebenso wie Nichtregierungsorganisationen, denn auf diese Weise wurden kriminelle Banden und private Truppen diverser Warlords zu legalen Autoritäten erhoben.

Doch nach anfänglichem Zögern verfolgt auch die Bundeswehr diese zweifelhafte Sicherheitsstrategie, obwohl den ALP immer wieder Morde, Schutzgelderpressung, Drogenhandel und sexuelle Übergriffe nachgewiesen werden – auch in der Provinz Kundus, also im Bereich des deutsch geführten Regionalkommandos Nord.

Angeblich pflegt die Bundeswehr keinen Umgang mit diesen Banden. In einer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion, die noch kein Jahr alt ist, wird behauptet, das Verteidigungsministeriums habe bereits am 17. Februar 2010 eine Weisung erteilt, laut der »grundsätzlich keine Einbindung von afghanischen Kräften außerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte in die eigene Operationsführung vorzunehmen« sei. »Eine Zusammenarbeit ist nur in begründeten Ausnahmefällen zuzulassen.«

Die Ausnahmen sind inzwischen die Regel. Oberst Jochen Schneider, der letzte Kommandeur des deutschen Camps in Kundus, sagte jüngst zum Thema Zusammenarbeit mit der lokalen »Polizei« in ein Deutschlandfunk-Mikrofon: »Wir haben engen Kontakt gehalten ... Wir haben sie auch ausgestattet, wir haben ihre Stellungen verbessert. Und auch gerade jetzt im Hinblick auf unsere Konvois ist diese Verbindung sogar sehr wichtig.«

Hätte der Offizier sich ohne Kenntnis seiner Vorgesetzten in Afghanistan, beim Einsatzführungskommando in Potsdam oder dem Berliner Verteidigungsministerium über die Ministerweisung hinweg gesetzt, wäre er bestraft worden. Da dies nicht geschah, ist zu vermuten, dass die Regierung das Parlament belogen hat.

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