nd-aktuell.de / 01.11.2013 / Sport / Seite 19

Wie gläsern muss ein Spitzenathlet sein?

Dopingkontrollen: Gern! Aber nur wenn es die anderen betrifft

Tom Mustroph, Bonn
Sportjournalisten favorisieren ja 
mehrheitlich ein hartes Durchgreifen 
bei Dopingverstößen. Was das Kontrollsystem dabei dem einzelnen Sportler abverlangt, gerät jedoch in den Hintergrund. Wie stark es ins eigene Leben eingreifen kann, durfte der Autor bei 
einem Journalistenworkshop der 
Nationalen Anti Doping Agentur in Bonn erfahren.

»Guten Tag, ich komme von der Nationalen Antidopingagentur und möchte eine Dopingprobe bei Ihnen vornehmen.« So begrüßt eine Mitarbeiterin der Nationalen Anti Doping Agentur (NADA) Deutschlands einen Journalisten, der in einem Planspiel im Rahmen eines Journalistenworkshops der NADA die Rolle eines Sportlers übernommen hat. Für den Probanden ist die imaginierte Feierabendrunde unter Freunden abrupt zu Ende gegangen. Er darf sich den Blicken der NADA-Mitarbeiterin nicht mehr entziehen. »In der Realität ist dies ein Kontrolleur gleichen Geschlechts«, entschärft sie alle pikanten Gedanken, die sich angesichts des bevorstehenden Toilettengang des Kollegen ins Bewusstsein schleichen.

Auf die Toilette muss der Proband dann auch nicht. Aber brav wählt er erst Becher und Röhrchen für die Urinprobe aus, müht sich etwas an den Verpackungen und gießt dann den Kamillentee in den Becher. Anschließend wird die Flüssigkeit in die Röhrchen für die A- und B-Probe verteilt, jene verpackt und versiegelt sowie ein Protokoll aufgenommen. Was im Testfall schlanke 15 Minuten gedauert hat, nimmt nach Erfahrung der NADA-Testerin im Realfall durchschnittlich 55 Minuten in Anspruch. »Der Abend ist dann dahin«, bemerkt ein Kollege. Erst recht, wenn man sich vorstellt, dass manch Probeentnahme wegen mangelnden Urins auch schon sechs Stunden dauern kann.

»Der Sportler kann dann natürlich auch anderen Beschäftigungen nachgehen, zur Uni gehen oder an den Arbeitsplatz. Er hat den Kontrolleur dabei aber stets im Schlepptau«, erklärt Elena Thiemer von der Abteilung Dopingkontrollsystem der NADA. Ausgedehnte Waldläufe, bei denen die Kontrolleure schnell den Sichtkontakt verlieren würden, werden trainierten Athleten daher nicht erlaubt – selbst wenn dies der Trainingsplan vorsieht.

Als gar nicht so trivialer Eingriff in den Alltag stellt sich auch das Meldesystem ADAMS heraus. Ein Vierteljahr im voraus müssen Athleten hier ihre Aufenthaltsorte eingeben und die Daten stets auf dem laufenden Stand halten. Die Athleten im sogenannten »Registered Testing Pool« – vor allem Kaderathleten in den als besonders risikoreich eingeschätzten Ausdauersportarten – müssen sogar für jeden Tag eine Stunde angeben, an der sie für die Tester zur Verfügung stehen. »Testen können wir 24 Stunden am Tag. Diese eine Stunde irgendwann zwischen 6 und 23 Uhr muss der Athlet aber vor Ort sein«, erklärt Sebastian Melder von der Rechtsabteilung der NADA. Internet, ADAMS-App und SMS-Möglichkeit helfen bei Aktualisierung der Daten.

Wenn Telefon- und Wlan-Netz mal schwach werden, kann es für die rechtzeitige Meldung aber knapp werden. Wenn dann ein Kontrolleur am alten, falschen Ort wartet, ist ein »missed test« logische Konsequenz. Zwei Mal in 18 Monaten kann man sich einen solchen Lapsus leisten. Beim dritten Mal folgt die Sperre. »Spätestens um 3 Uhr in der Nacht sollten sich Sportler nach dem Namen und der Adresse der Person erkundigen, die sie am Abend kennengelernt haben und der sie nach Hause gefolgt sind«, empfiehlt trocken eine NADA-Mitarbeiterin. Dies wiederum ist nicht unbedingt das Naheliegendste, was man um 3 Uhr morgens in solch einer Situation machen möchte.

Sportler, die häufig kurzfristig ihre Aufenthaltsorte ändern und bei denen dies nicht durch Wettkämpfe und Trainingslager erklärt werden kann, können dann schon verstärkte Zielkontrollen auf sich ziehen, erfährt man. Mit dem Machtanalytiker Michel Foucault gesprochen, wirkt das Meldesystem ADAMS durchaus als Instrument zur Durchsetzung eines bürgerlichen Lebenswandels. Für abgezockte Doper eröffnen die kurzfristigen Meldeoptionen allerdings auch reizvolle Möglichkeiten. Bis eine Minute vor Beginn der angebotenen Teststunde kann man Ort und Zeitraum ändern. Dopingkontrolleure, die zum alten Ort unterwegs sind, sind dann ganz legal schachmatt gesetzt. Hinzu kommen die zwei »verpassten Tests«, die man sich binnen 18 Monaten ohne Sanktionsandrohung leisten kann. Angesichts der NADA-Kontrolldichte von zwei bis maximal fünf Trainingskontrollen jährlich pro Sportler im »Registered Test Pool« sowie den oft geringen Nachweisfenstern für Dopingsubstanzen lässt sich das recht gelassen bewerkstelligen. Stimmt hier noch das Verhältnis zwischen Aufwand – und Ärgernis – für saubere Athleten und Überführungsmöglichkeit der dopenden Sportler?

Als nicht ganz einfach stellt sich beim Durchlauf der verschiedenen Stationen auch die Auswahl von Medikamenten anhand der Verbotsliste heraus. Einfaches Aspirin etwa kann man nehmen, Aspirin Complex – wegen des Vorhandenseins von Ephedrin – aber nicht. Datenbanken der NADA und nach Symptomen geordnete Listen über erlaubte und verbotene Substanzen helfen. Mühsam ist die Sache aber doch.

Beim Bluttest – vorgenommen an einem mobilen Testgerät – gibt es eine echte Überraschung. Der untersuchte Journalist hat einen Hämatokritwert von 52. Eingebracht in die Normalkurve eines Athleten vermutet der Blutpassspezialist der NADA, Christian Völzke, die »Transfusion von zwei bis drei Blutbeuteln, verbunden mit einer kleineren EPO-Gabe«. Laut Völzke kann er aber auch zu den etwa zehn Prozent der Menschen gehören, die von Natur aus »dickes Blut« haben. Aufklärung würde eine Testreihe geben.

Blutprofile von 700 Sportlern hat die NADA schon angelegt. Nur knapp 400 von ihnen weisen allerdings Daten von mindestens fünf Blutabnahmen auf und sind daher richtig aussagekräftig. Die NADA hat gegenwärtig nur eingeschränkten Zugriff auf Testergebnisse anderer Verbände. An die Blutpassdaten des Weltradsportverbands UCI kommt Völzke etwa nicht heran. Mit sechs Verbänden, darunter Leichtathletikverband und Skiverband, funktioniert immerhin schon der Datenaustausch. »Da kam in letzter Zeit Bewegung rein. Unser Ziel ist: ein Athlet, ein Pass«, meint Völzke. Dann könnte sich die gegenwärtige Malaise auch ändern. Während international schon etwa 50 Athleten aufgrund des indirekten Nachweises über Blutprofile als Doper überführt worden sind, gelang dies der NADA in keinem einzigen Fall.

Der Journalistenkollege mit einem Hämatokritwert von 52 wäre also die Premiere. Bei der Diskussion seiner Blutwerte stellt sich aber die Frage, wer von all den Werten überhaupt etwas wissen sollte. »Es sind persönliche Daten, die im Normalfall nur den Patienten und den Arzt etwas angehen«, meint Völzke. Wie gläsern darf, wie gläsern muss ein Spitzensportler sein, damit das Vertrauen in seine Leistung begründet ist?