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Unser Mond wirft neue Rätsel auf

Die favorisierte Theorie seiner Entstehung passt nicht mit der Zusammensetzung des Gesteins zusammen. Und alternative Konzepte gehen physikalisch nicht ganz auf

  • Dieter B. Herrmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Unser Mond ist zwar mit einem mittleren Abstand von nur 384 000 Kilometer der erdnächste aller Himmelskörper und der einzige, auf dem bereits Menschen gelandet sind, dennoch birgt er nach wie vor viele Geheimnisse. Neuerdings ist nun sogar die weitgehend etablierte Vorstellung über die Entstehung des Mondes ins Wanken gekommen.

Wissenschaftler tasten sich an Vorgänge aus einer fernen Vergangenheit stets dadurch heran, dass sie zunächst Annahmen formulieren. Lässt sich aus einer solchen Hypothese der gegenwärtige Zustand ableiten, so kann man in der Regel davon ausgehen, dass man richtig liegt.

Monde sind ein normales Phänomen bei Planeten. Außer Merkur und Venus werden alle anderen Planeten unseres Sonnensystems (sogar der Zwergplanet Pluto und etliche Kleinplaneten) von Trabanten umkreist. Allerdings zeigt die Analyse von Aussehen und Zahl der Planetentrabanten, dass sich deren Entstehung keineswegs nach einem einheitlichen Muster abgespielt haben kann. So besitzt der Planet Mars zwei kleine »kartoffelförmige« Monde, die er gewissermaßen im Vorbeiflug eingefangen hat. Die acht inneren der insgesamt 67 bekannten Monde des Jupiter hingegen sind mit dem Planeten zugleich entstanden, während die meisten anderen, zum Teil sehr winzigen Trabanten ebenfalls eingefangen wurden. Die ganz unterschiedlichen Oberflächen und inneren Strukturen der zwei etwa gleich großen Jupitermonde Ganymed und Kallisto wiederum kann man nur verstehen, wenn man ihre Entwicklungsgeschichte berücksichtigt. Sehr wahrscheinlich sind sie vor 3,8 Milliarden Jahren einem dramatischen Bombardement von Kleinkörpern ausgesetzt gewesen, das aber den näher am Jupiter stehenden Ganymed ungleich stärker traf. Dadurch schmolz er auf und die Gesteinsmassen sanken ins Innere, was bei Kallisto nicht geschah. Schon diese wenigen Beispiele machen deutlich, dass man die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Planetenmonde sehr differenziert betrachten muss, um die heute beobachteten Zustände zu verstehen.

Was nun unseren Erdmond anlangt, so spielt er ohnehin eine einzigartige Rolle im Sonnensystem. Im Verhältnis zum zugehörigen Planeten bricht unser Mond mit etwa 3500 Kilometern Durchmesser alle Rekorde. Schon deshalb nahm man zunächst an, er habe sich als Doppelplanet gemeinsam mit der Erde aus jener Gas-Staubscheibe um die Sonne gebildet, aus der auch die anderen Planeten entstanden. Denkbar erschien auch, dass die gewaltigen Zentrifugalkräfte einer rasch rotierenden Protoerde flüssiges Material in den Kosmos hinausschleuderten, aus dem sich dann unser Mond formte. Auch der Einfang eines im frühen Sonnensystem umherirrenden Körpers wurde diskutiert. Aber all diese Annahmen waren nicht mit der Bewegung des Mondes, seinem Abstand, seiner Größe und Eigenrotation in Einklang zu bringen. Deshalb gewann schließlich die Vorstellung Oberhand, ein etwa marsgroßes Objekt mit ca. einem Zehntel der Erdmasse sei mit der Erde kollidiert. Durch diese Katastrophe gelangte flüssiges Material der noch jungen Erde gemeinsam mit dem des »Geschosses« in den Raum und formte dann schließlich den Mond. Eine starke Stütze für diese Hypothese ergab sich aus der Analyse des von den Apollo-Astronauten zur Erde gebrachten Mondgesteins. Besonders das Verhältnis, in dem die drei Sauerstoff-Isotope 16O, 17O und 18O im Mondgestein vorkommen, stimmte die Forscher optimistisch. Dieses Verhältnis ist nämlich ein guter Marker für die Herkunft eines Objektes innerhalb des Sonnensystems. Da sich das Material des Impaktors mit dem der viel größeren Erde vermischte, stellte man erfreut fest, dass beim Mondgestein dasselbe Verhältnis an Sauerstoff-Isotopen vorlag wie in der Erdkruste. Deshalb galt die Hypothese von der Mondentstehung durch Kollision mit einem etwa marsgroßen Körper seit mehreren Jahrzehnten als die wahrscheinlichste.

Doch nun tauchen ernsthafte Zweifel daran auf und zwar paradoxerweise gerade wegen des gleichen Isotopenverhältnisses, wie Daniel Clery im Fachblatt »Science« (Bd. 342, S. 183) von einer unlängst in London abgehaltenen Konferenz berichtet. »Schuld« sind die immer leistungsfähigeren Computer, die es mittlerweile gestatten, komplizierte Vorgänge nahezu perfekt zu simulieren. So wurde auch der Aufprall eines etwa marsgroßen Körpers modelliert. Dabei kam nun überraschend heraus, dass bei einem solchen Vorgang das meiste Material, aus dem dann später der Mond hervorging, vom einschlagenden Himmelskörper (Impaktor) stammen müsste und nicht aus einer Mischung von Impaktor und Erde, wie es das identische Isotopenverhältnis nahelegt. Nun ist guter Rat teuer.

Natürlich wurde auch die Möglichkeit erörtert, dass sich der Impaktor und die Erde in einem Gebiet des Sonnensystems mit gleichen Isotopenverhältnissen geformt hätten. Doch selbst dann wäre die alte Hypothese nur scheinbar gerettet. Bei der Erde mit ihrer gegenüber dem Impaktor zehnmal größeren Masse hätte sich nämlich rasch ein andere Zusammensetzung eingestellt, weil sie viele kosmische Kleinkörper aus einem weiten Bereich des Sonnensystems durch ihre Gravitation »eingesammelt« hätte. Der Impaktor mit seiner viel kleineren Anziehungskraft konnte das nicht in gleichem Maße.

Auf der erwähnten Konferenz in London wurde deshalb vorgeschlagen, einen wesentlich kleineren Impaktor anzunehmen, der auf eine viel schneller rotierende Erde getroffen sei. Auch der Zusammenprall einer damals vielleicht noch viel kleineren Erde mit einem ihr an Masse und Größe etwa entsprechenden Körper würde zur völligen Materialdurchmischung führen (siehe Grafik). Leider funktionieren diese Modelle aber noch nicht hinsichtlich des heute beobachteten Drehmoments des Erde-Mond-Systems. Sicherlich wissen wir auch noch nicht genug über die Variation der Isotopenverhältnisse verschiedener Elemente in den verschiedenen Regionen des Sonnensystems. Vor allem der Venus käme hier eine Schlüsselrolle zu, da sie fast die gleiche Masse wie die Erde besitzt. Fazit: Derzeit wissen wir nicht, wie unser guter alter Mond entstanden ist. Die alte Hypothese ist fragwürdig und eine befriedigende neue noch nicht gefunden.

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