nd-aktuell.de / 02.11.2013 / Kultur / Seite 10

Die Farben der Kraft

Blatt für Burt Lancaster

hds

Er hatte Kraft, wie andere einen Namen haben - er hatte Kraft also wie etwas absolut Selbstverständliches. Er war ein Schauspieler für die Gerechtigkeit - er verteilte diese Kraft an Lumpen und Lebemänner gleichermaßen, an Piraten und Patriarchen, an Schurken und Sheriffs, an Aussätzige wie Adlige; er gab diese Kraft an den Zirkus weiter und an die Zeitgeschichte; vor allem: Er spannte diese Kraft mit dem Schweigen und der Zerrissenheit zusammen und zog oft eine dünne Haut drüber, als sei sie ein Panzer. Dünne Häute, werden sie offenbar, verführen dazu, den Menschen darunter zu unterschätzen. Geschah’s, dann schlug er zu mit seiner Männlichkeit.

Burt Lancaster war einer der packendsten Filmschauspieler des 20. Jahrhunderts. Unvergesslich sein Prinz Don Fabrizio Solinas: ein Gardecharakter im Italien Garibaldis, ein »Leopard« in aristokratischer Freiheit, der mit traurig-trotzigem Blick auf eine Welt schaut, die unaufhaltsam zum Käfig der materiellen, morallosen Gewöhnlichkeit wird. »Der Leopard« nach Lampedusa, Regie: Luchino Visconti: ein Film, der zu den großen Leinwandromanen zählt, und nur Visconti konnte so Filme erschaffen, wie Thomas Mann Literatur schrieb.

Geboren wurde Lancaster im New Yorker Arbeiterviertel East Harlem. Sergeant Warden in Fred Zinnemanns »Verdammt in alle Ewigkeit«, der Häftling mit Ornithologen-Leidenschaft in John Frankenheimers »Birdman of Alcatraz«, der lebensgebrochene Gangster in Louis Malles »Atlantic City«, die Titelrolle in Richard Brooks’ »Eimer Gantry«, der Sheriff Wyatt Earp in John Sturges’ »Zwei rechnen ab«, ein Resistance-Kämpfer in Frankenheimers »Der Zug«: Lancasters Kraft war eine genau rhythmisierte Folge der Explosionsmomente oder Schwelprozesse in den vulkanischen Schichten eines Menschengemüts. 1978 war er Kommentator und Moderator für die bewegende Dokumentarfilmserie des Moskauer Regisseurs Roman Karmen: »Der vergessene Krieg«, ein Gemahnen an den (besonders sowjetischen) Heldenmut gegen Hitler - in einer Koproduktion mit den USA!

Der Prinz Solinas bei Visconti: Das war noch ein Untergangs-Gesicht! Gesagt heute, da Untergang als Gesinnung vernutzt, als Gefühl erschöpft ist Die heutzutage immerfort simulierte Apokalypse löscht jede Tiefenahnung von ihr. Lancaster aber spielte sie wie eine Offenbarung, tragischer und also wahrhaftiger ging es nicht.

Burt Lancaster, der 1994 starb, wurde am 2. November vor hundert Jahren geboren. hds