Slapstick über die Illusion Demokratie

Im Ballhaus Ost tanzt Choreograf Christoph Winkler gegen den Kapitalismus an

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

För Künkels Dekoration, ein umgedrehtes U aus weißen Wänden, suggeriert Umklammerung. In der Rundung hängt ein pinkfarbenes Plakat mit einer Ballerina auf Spitzenschuhen, die in der Hand eine Fahne schwingt. Tanz und Protest wollen nicht zueinander passen. Meint auch Christoph Winkler und untersucht dennoch in seiner neuen Produktion deren Schnittpunkte.

Dass sich Winkler zunehmend vom »Schöntanz« seiner Anfangsjahre löst, sich dafür umso vehementer dem Politalltag zuwendet, unterscheidet ihn vom Großteil seiner Kollegen. Nicht zuletzt der europaweite Erfolg von »Baader - Choreografie einer Radikalisierung« mag ihn darin bestärkt haben. Auf »Dance! Copy! Right?« um das Urheberrecht und »RechtsRadikal« folgt nun »Das wahre Gesicht - Dance is not enough«, Kapitalismuskritik mit den Mitteln des Tanzes. Ob das funktioniert oder ob Tanz nicht bestenfalls Teil eines Protests sein kann, erforscht Winkler mit Ahmed Soura, Luke Garwood, Chris Daftsios, Luis Rodriguez, formidable Tänzerschauspieler von Burkina Faso bis Nordamerika.

Am Anfang steht ein Film. Tänzer des Kairoer Balletts zitieren in Jeans vor Volksmassen im Freien Sirtaki nach der Musik aus der »Zorbas«-Verfilmung. Das sei Reaktion auf die Einordnung von Tanz unter Pornografie durch die Muslim-Brüder. Die Vier im Ballhaus Ost tanzen auf ähnliche Weise, beginnen eine Debatte. Dieser Sirtaki mit Ballett sei kein Protest, ist er wenigstens Demonstration? Und was hätten die Muslim-Brüder wohl gesagt, wären die Tänzer in hautengen Trikots aufgetreten? Ahmed Soura aus Burkina Faso überträgt den Kollegen eine Sequenz mit maskulinem Genitalgriff, die für Südafrikas Tänzerinnen Protest ausdrückt. Der Körper als Waffe. Wer im Parlament keine Macht besitzt, dem bleibt nur die Straße. Dies wirft die Frage nach den Kriterien für Tanz als Widerstandsform auf.

Das untersucht das agile Quartett an verschiedenen Formen. Dass es dabei zu grotesken, hochamüsanten Ausrutschern kommen muss, liegt auf der Hand. Ist Tanz doch wie Mathematik theoretisches Rüstzeug, das man auf unterschiedliche Weise einsetzen kann. Es gibt keine »politische« Bewegung an sich im Tanz.

Wenn die Männer mit Pompons als Cheerleader firmieren, »no justice, no peace, fight the police« skandieren; wenn sie ins Schuhplatteln abdriften, sich in Gewalt verlieren, wie man sie nach Demos kennt, weil sie bloß in Entscheidungen einbezogen sein wollen; wenn sie gestisch auf Flaggen trampeln, Pfefferspray sie außer Gefecht setzt, dann artikulieren sich hinter dem Gaudi für die Zuschauer auch Ängste sowie Gründe für Straßenunruhen, werden allbekannte Chiffren für Protest zitiert.

Auch die Jagd auf den Wähler mit Heilsversprechen: Wenn du mich wählst, tanze ich für junge Gefangene oder im Krankenhaus, koche ich, biete ich Thai-Massage, verbiete ich den Tanz. Passend dazu tapeziert man die Wand mit tönenden Losungen: Make capitalism history, Stand up for your rights, Dancing in the streets, A change is gonna come. Wie die Männer das tanzend kolportieren, gerät es zur köstlichen Persiflage auf Disco-Dancing und wird zur Farce der hehren Textzeile »Stand up, don’t give up« aus dem Song zur Begleitung.

Slapstick und bewegter Comic ist »Das wahre Gesicht«. Irak-Bush postuliert in einer Ansprache den »demokratischen Kapitalismus« als »best system ever«. »Democracy is an illusion« halten die Akteure gegen, spielen pantomimisch Arbeitssuche, Bürgerrechte, Tänzeraudition, gruppieren Schilder mit Dance, is, not, enough zur Frage um, fordern, politische Kunst müsse zum Kompromiss beitragen, verabschieden sich ironisch nach überaus turbulenten 90 Minuten als grinsende, handflatternde Boygroup. Den Weg aus der Krise weist auch »Das wahre Gesicht« nicht, klärt indes auf und bietet prononcierte, bisweilen chaplineske Unterhaltung im bitterheitersten Winkler aller Zeiten. Englisch und Französisch sollte verstehen, wer sich zusehend darauf einlässt.

Bis 3.11., Ballhaus Ost, Pappelallee 15, Prenzlauer Berg, Kartentelefon 440 39 18, www.ballhausost.de

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