Zwei Minarette und viele Ressentiments

Liberale muslimische Gemeinde plant den ersten Moscheebau in Sachsen - die Bürger reagieren tief gespalten

  • Hendrik Lasch, Leipzig
  • Lesedauer: 7 Min.
Liberale Muslime wollen in Leipzig eine Moschee bauen. Neben Wohlwollen ernten sie auch heftigen Widerstand einer Bürgerinitiative. Bei der NPD reibt man sich die Hände.

Die Ressentiments kommen in Gestalt von unbeholfenen Kreidezeichnungen daher. Auf einen Gehweg an der Bleichertstraße in Leipzigs Stadtteil Gohlis ist ein rosa Tier gezeichnet und mit einem krakeligen »Oink, oink« versehen. »Leipzig isst«, steht da - und zwar Schwein. Wer das nicht tut, so der unausgesprochene Zusatz, hat in der Stadt nichts verloren.

Auf der Brache nebenan wuchsen bislang eher unbeachtet ein Ahorn und viel Unkraut. Kürzlich wurde bekannt, dass hier eine muslimische Gemeinde bauen möchte - eine »schnuckelige« Moschee, wie Abdullah Uwe Wagishauser sagt. Er ist Bundesvorsitzender von Ahmadiyya Muslim Jamaat. Die Gemeinde hat bei der Stadt einen Antrag gestellt. Der werde »aller Voraussicht nach« auch genehmigt, sagt Dorothee Dubrau, Leipzigs Baubürgermeisterin. Für derlei Pläne gebe es, fügt sie an, »einen Rechtsanspruch«.

Streit um muslimische Gotteshäuser

Wenn in der Bundesrepublik eine Kirche gebaut oder aufwendig restauriert wird, sorgt das gewöhnlich nicht für Aufsehen. Wird aber der Neubau einer Moschee bekannt, ruft das bei einem Teil der Anwohner die immer gleichen Reflexe hervor: Skepsis, Unverständnis, Ablehnung und Protest. Der Vorwurf einer »Islamisierung« macht dann die Runde und Vorurteile gegenüber Muslimen werden geschürt. Ein Nährboden für Parteien und Vereinigungen am rechten Rand.

Nach einer Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge leben in Deutschland zwischen 3,8 und 4,3 Millionen Muslime mit Migrationshintergrund. Nach Angaben des Zentralinstituts Islam-Archiv gab es vor fünf Jahren bundesweit 206 Moscheen und etwa 2600 Bethäuser sowie eine unbekannte Anzahl an »Hinterhofmoscheen«. Weitere 120 Moscheen sollen damals in Bau oder in Planung gewesen sein. Die Moschee in Berlin-Wilmerdorf ist die älteste Moschee in der Bundesrepublik. Gebaut wurde sie zwischen 1924 und 1928.

In deutschen Städten hat es mehrere öffentliche Auseinandersetzungen über muslimische Gotteshäuser gegeben, die auch überregional für Schlagzeilen gesorgt haben. So zum Beispiel in Köln-Ehrenfeld. In der katholischen Domstadt war der Moscheebau alles andere als unumstritten: Laut einer Umfrage von 2007 lehnten ihn 31,4 Prozent der Befragten ab. Die Bewegung »Pro Köln« versuchte sich als Sprachrohr des anti-muslimischen Widerstandes in Szene zu setzen. Mit mäßigem Erfolg. Im November 2009 wurde der Grundstein für den Neubau gelegt, im Februar vor zwei Jahren war Richtfest. Heute ist der Bau noch immer nicht fertig.

Vielen Berlinern ist der Streit um die Moschee in Heinersdorf noch in Erinnerung. 2007 brannte auf dem Grundstück ein Fahrzeug; ein Jahr später wurde die Kuppel des Gotteshauses mit Naziparolen beschmiert. Die Khadija-Moschee wurde vor fünf Jahren eröffnet und ist die erste Moschee im Ostteil der Hauptstadt.

Im März dieses Jahres sorgte eine kleine Gruppe von Rechten für Aufsehen, als sie gegen den Umbau der Kapernaum-Kirche in Hamburg-Horn protestieren wollte. Rund 700 Gegendemonstranten bereiteten den Islamhassern einen gebührenden Empfang. Die sunnitische Al-Nour-Gemeinde hat das seit langem leer stehende Gebäude erworben und will es zu einer Moschee umfunktionieren. Und auch in München erhitzt ein muslimisches Projekt die Gemühter. Dort soll ein Islamzentrum entstehen – mit einer Mosche für 600 Gläubige. Christian Klemm

Rechtsanspruch hin oder her - eine erkleckliche Anzahl Leipziger Bürger findet das Vorhaben alles andere als schnuckelig. Ablehnung und Ressentiments werden nicht nur auf dem Gehweg verbreitet, sondern vor allem auf der Facebook-Seite einer eilig gegründeten Bürgerinitiative, die behauptet, »Protest aus der Mitte des Volkes« zu artikulieren. Dabei kann sie schon deutlich mehr als 5600 Unterstützer verbuchen.

Die harmlosesten Einwände in den Kommentarspalten sind städtebauliche Bedenken. Die Moschee soll zwar die benachbarten Bürgerhäuser nicht überragen, aber zwei zwölf Meter hohen Minarette erhalten. Das nimmt sich bescheiden aus im Vergleich zum mit 50 Metern Höhe geplanten Turm der katholischen Probsteikirche, die gerade gegenüber von Leipzigs Neuem Rathaus errichtet wird und gegen die bislang niemand protestiert. Allerdings sind Minarette ein Anblick, an den man sich nicht nur in Leipzig erst gewöhnen müsste: Moscheen mit Minaretten gibt es im Osten Deutschlands bisher nur in Berlin. Im Stadtteil Wilmersdorf wurde bereits 1925 die älteste deutsche Moschee eröffnet; in Heinersdorf errichtete Ahmadiyya Jamaat 2006 einen Neubau.

Aus jener Zeit sind Wagishauser die Klischees bekannt, die auf der Seite der Leipziger BI inzwischen die Oberhand gewinnen. Dort ist von Missionierung, unterdrückten Frauen und verfolgten Christen die Rede, die von »wilden, bärtigen Horden« betrieben werde. Es sind die dumpfesten Stereotype, die sich mit dem Islam verbinden lassen - und denen die Ahmadiyya-Gemeinde in keiner Weise entspricht. Zwar trägt Wagishauser einen schmalen Bart; mit seiner Baskenmütze wirkt er aber eher wie ein Philosoph als wie ein Mullah. Der 63-Jährige stammt aus Frankfurt, hat einst bei einer Fluggesellschaft gearbeitet und sich mit Marx beschäftigt, bevor er beim Islam landete. Die Strömung, der er angehört, beschreibt der Alt-68er als »liberal, aber wertkonservativ«. Die Mitglieder von Ahmadiyya Jamaat - bundesweit sind es etwa 35 000 - gelten in der Regel als gut gebildet und wollen sich in das öffentliche Leben integrieren. Jugendliche Ahmadis beteiligen sich zum Beispiel vielerorts am Neujahrsputz, »oft gemeinsam mit christlichen Gemeinden«, sagt Wagishauser. Das unterscheidet sie von Salafisten, wie sie auch in Leipzig in der Al-Rahman-Moschee anzutreffen sein sollen. Sie befindet sich in der Roscherstraße in einem Plattenbau und wird von Hassan Dabbagh geleitet, dem »Imam von Sachsen«. Der Verfassungsschutz des Freistaats sieht den Trägerverein als »extremistischen Verdachtsfall« an.

Für derlei Differenzierung ist kein Platz bei der Bürgerinitiative - im Gegenteil: Zur Diffamierung kommt jedes Argument gelegen, etwa eine angebliche Intoleranz von Ahmadiyya gegenüber Homosexuellen. Aus dem Grund wurde in einem mittlerweile verschwundenen Eintrag auf der BI-Seite ein Unterstützer zurechtgewiesen, der wegen eines kritischen Presseberichts über »Schwuchteln« gewettert hatte. Derlei Begriffe seien »kontraproduktiv für die Verhinderung der Moschee«, erwiderte ein anderer Nutzer; schließlich könne man diese sonst nicht als unpassend für das doch »tolerante« Leipzig darstellen.

Wer genau hinter der Bürgerinitiative steht, ist bislang unklar: Ansprechpartner werden auch zwei Wochen nach deren Gründung nicht genannt. Spekuliert worden war, dass Sebastian Schermaul eine Rolle spielen könnte, der nicht nur Mitarbeiter eines erzkonservativen Dozenten an der Uni Leipzig und CDU-Mitglied ist, sondern auch der Burschenschaft Arminia angehört - die ihren Leipziger Sitz in direkter Nachbarschaft zur geplanten Moschee hat. Schermaul erklärte auf Anfrage indes, er habe mit der BI »nichts zu tun«. Zwar hatte er bei einer turbulenten Versammlung zur geplanten BI-Gründung Adressen möglicher Interessenten gesammelt. Daraus habe sich aber »aus zeitlichen Gründen nichts entwickelt«, sagte er.

Unklar ist auch, ob es Verbindungen zwischen BI und der NPD gibt. Die sieht in der Frage des Moscheebaus eine Steilvorlage für den Landtagswahlkampf im kommenden Jahr - eine zweite neben der Debatte um die Unterbringung von Flüchtlingen. Schon die sorgte in Leipzig für enormen Wirbel, als die Stadt 2012 beschloss, ein in katastrophalem Zustand befindliches Großwohnheim in der Torgauer Straße zu schließen und durch kleinere Einrichtungen in etlichen Stadtteilen zu ersetzen. Dort kochte umgehend Widerstand hoch, den die NPD gezielt anheizte - so, wie es ihr Kreischef derzeit wieder im erzgebirgischen Schneeberg tut. An einem »Lichtellauf« gegen ein neues Flüchtlingswohnheim beteiligten sich am Samstag erneut 1800 Bürger.

Auch von den Moscheeplänen in Gohlis erhofft sich die NPD Rückenwind. Ebenfalls am Samstag gab es eine Kundgebung mit 150 Teilnehmern. Im Aufruf war vor »Islamisierung und Überfremdung« sowie dem Islam als vermeintlich »fremdartiger Eroberungsreligion« die Rede. Während das Bündnis »Leipzig nimmt Platz« bei Gegenprotesten Hunderte auf die Straße brachte, war die BI allenfalls halbherzig auf Distanz gegangen: Es handle sich nicht um eine Demonstration der Initiative, wurde erklärt; wenn die NPD das Thema »ebenfalls für sich entdeckt hat, so ist das Sache der Partei«.

Ebenfalls dementiert werden von der BI begründete Mutmaßungen der Leipziger Internetzeitung L-IZ, wonach auf der Facebook-Seite der Initiative ein Nutzer mit NPD-Nähe über Rechte als Administrator verfügen und so etwa Kommentar blockieren könne. Das stimme nicht, sagt die BI. Allerdings gehen Beobachter wie Juliane Nagel, Stadträtin der LINKEN, davon aus, dass zumindest die Kommentarspalten zu einem Gutteil von Rechtsextremen gefüllt werden. Die verfolgten so »das klare Kalkül, sich mit markigen und zustimmungsfähigen Sprüchen an die Spitze der Bewegung zu setzen«, meint Nagel.

Klar ist indes ebenso, dass bei weitem nicht alle Skeptiker aus der äußersten rechten Ecke stammen. Zum einen reichen Vorurteile gegen den Islam weit in die Mitte der Gesellschaft - wie in Leipzig gerade Wolf-Dietrich Rost unter Beweis stellt. Der CDU-Chef im Leipziger Norden und Landtagsabgeordnete begründet seine Skepsis gegenüber der Moschee nicht nur damit, dass sie »im Spannungsfeld zur baulichen und kulturellen Umgebung« stehe. Er verweist zudem auf Berichte, wonach Ahmadiyya offensiv missioniere - was wegen einer benachbarten Grundschule »eher kritisch zu betrachten ist«.

Die Bedenken seien unbegründet, sagt Wagishauser. Zwar könne sich die Gemeinde vorstellen, auch Schulklassen in die künftige Moschee einzuladen - aber nur, um Offenheit unter Beweis zu stellen und Bedenken abzubauen. Damit freilich, auch das weiß der Bundesvorsitzende, kann er nicht warten, bis der Bau steht. Skepsis rufen die Baupläne schließlich auch bei ganz normalen Nachbarn in spe hervor. Der Bürgerverein Gohlis stellt »Ängste, Unsicherheit und Vorurteile« fest. Vorsitzender Gerd Klenk mahnt dringend, diese ernst zu nehmen und »zu Abbau und Klärung beizutragen« - auch um zu verhindern, dass sich besorgte Anwohner von der NPD »instrumentalisieren« ließen.

Im Rathaus hat man die Notwendigkeit erkannt; für den 7. November wird zu einer Bürgerversammlung in eine Kirche geladen. Auch Wagishauser will sich verstärkt um Kontakte und Gespräche zu künftigen Nachbarn bemühen. Er ist aber zuversichtlich, dass die Stimmung nicht derart hochkochen wird wie in Berlin-Heinersdorf 2006. Zum einen heißen Leipzigs Ratsparteien - mit Ausnahme der CDU - die Muslime mit einer eben veröffentlichten Erklärung willkommen; auch bei Facebook gibt es eine gut besuchte Seite von Unterstützern. Zudem habe man in Berlin auch evangelische Pfarrer gegen sich gehabt, sagt Wagishauser. In Leipzig erklärten dagegen Britta Taddiken und Christian Wolff, die Pfarrer der Thomaskirche, es sei »sehr zu begrüßen, dass im Stadtbild sichtbar eine oder mehrere Moscheen errichtet werden«. Und wenn, fügen sie an, derzeit in manchen islamischen Ländern Christen verfolgt würden, dürfe das »nicht dazu führen, dass wir dieses schändliche Verhalten kopieren«.

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