Ninjas springen Demonstranten bei

Aktivistischer Mediendienst schafft in Brasilien Gegenöffentlichkeit

  • Fabiana Frayssinet, Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 3 Min.
Statt Schwertern oder Gewehren tragen die Guerilla-Reporter Laptops und Kameras bei sich. Damit sind sie auf Demos unterwegs und zeichnen Polizeirepression auf.

Wo Kollegen der großen Medienunternehmen wegschauen, sind sie mit ihren Kameras dabei: Die Reporter des brasilianischen Netzwerks »Midia Ninja« sind Berichterstatter und Aktivisten in einer Person. Ihre Motivation: Unrecht aufklären und mit ihrem Journalismus Stellung beziehen.

Ninja steht für »Narrativas Independentes, Jornalismo e Ação« - Unabhängiger Journalismus und Aktion. Ein Ninja ist außerdem ein Partisanenkämpfer, eine Art japanischer Guerillero, und als solche verstehen sich die Aktivisten von Midia Ninja auch. Statt Schwertern oder Gewehren tragen sie Laptops und Kameras mit sich. Die Reporter besuchen Demonstrationen und folgen etwa Personen, die sie für Zivilpolizisten halten. Auch Provokateuren in den Reihen der Protestierenden bleiben sie auf den Fersen. Sie zeichnen alles mit ihren Kameras auf, beispielsweise, wie Polizisten auf wehrlose Demonstranten einprügeln. Wenn notwendig, legen sie ihre Kameras auch zur Seite: In einem Live-Stream zeigen sie, wie Journalisten einen Demonstranten befreiten, dem unterstellt worden war, einen Molotow-Cocktail geworfen zu haben. Die Videobilder der Reporter konnten das Gegenteil beweisen.

Im Gegensatz zu Reportern der großen Medienanstalten gelten die Ninja-Journalisten als glaubwürdig. »Die Menschen haben das Vertrauen in die traditionellen Medien verloren. Sie sind es leid, manipuliert zu werden«, sagt Cazú Barros, einer der mehreren hundert Ninja-Reporter.

Der Geburtsort von Midia Ninja liegt in São Paulo. Geburtshelferin war das Netzwerk »Fora de Eixo«, das Musikfestivals organisiert und dessen rund 2000 Mitglieder in kollektiven Häusern im ganzen Land verteilt leben. Seit dem Ausbruch der Proteste im Juni dieses Jahres, die durch die Erhöhung der Preise für den öffentlichen Nahverkehr ausgelöst wurden, ist das Netzwerk immer bekannter geworden. Midia Ninja begleitete die Proteste, die bald auch Korruption im Städtebau und Missstände im Bildungs- und Gesundheitswesen thematisierten. »Wir fangen die Atmosphäre auf der Straße ein«, sagt Felipe Peçanha, einer der Mitbegründer des Netzwerks. Er wurde bereits wegen »Aufstachelung zur Gewalt« festgenommen, aus Mangel an Beweisen allerdings wieder freigelassen.

Die Ninjas arbeiten vor allem mit Social Media: Über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreiten sie ihre Mitteilungen und warnen einander, wenn sich etwa ein Polizeitrupp nähert. Mehr als 225 000 Facebook-Nutzer haben bisher den »Gefällt mir«-Button der Ninja-Seite angeklickt.

Bei den Massenprotesten sind die etablierten Medien in die Kritik geraten. Die großen Rundfunkanstalten waren kaum bei den diesjährigen Straßenprotesten in dem größten südamerikanischen Land vertreten. Demonstranten warfen in dem Zuge nicht nur gegen Banken Steine, sondern auch gegen den Sitz des TV-Giganten »Rede Globo«, einer der größten Sender in ganz Lateinamerika. Außerdem setzten die Aktivisten Übertragungswagen anderer Sender wie SBT und »Rede Record« in Brand.

»Durch die Demonstrationen hat die brasilianische Gesellschaft am deutlichsten verstanden, welche parteiischen Interessen die Medienkonzerne haben«, meint Peçanha. »Wenn die Menschen von einer Kundgebung nach Hause kamen und den Fernseher anstellten, sahen sie eine ganz andere Version der Ereignisse als die, die sie selbst erlebt hatten.« Umfragen des Internetdienstes »Oops« belegen, dass von August 2012 bis August 2013 die Zuschauerquote von »Rede TVNews« um 41 Prozent und beim »Jornal Nacional« von Globo um zwölf Prozent gesunken ist.

Midia Ninja und andere alternative Medien, die sich in letzter Zeit im Land verbreitet haben, halten die Neutralität der Presse für »eine große Lüge«. Peçanha will den sozialen Bewegungen nahe sein, die seit jeher in den Massenmedien keine Stimmen haben. IPS/nd

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