nd-aktuell.de / 08.11.2013 / Politik / Seite 1

Gabriel gibt Ziel Steuererhöhungen auf

SPD-Chef: Es bleiben noch viele andere Themen / Mattheis: Brauchen aber Finanzierung für den Politikwechsel / Poß: Mehreinnahmen reichen nicht für Investitionen

Berlin. SPD-Chef Sigmar Gabriel stimmt seine Partei auf eine Regierungsvereinbarung ohne Steuererhöhungen ein. Er sehe die Debatte um Veränderungen am Steuersystem als »einen der großen Streitpunkte in den Verhandlungen« mit der Union über eine Große Koalition, sagte er der »Hannoverschen Allgemeinen Zeitung« - allerdings dürfe an dieser Frage die Koalitionsbildung mit der Union nicht scheitern. »Sollten wir ein gerechteres Steuersystem mit der CDU/CSU nicht hinbekommen - wonach es zugegeben derzeit aussieht - bleiben ja noch viele andere Themen, bei denen wir etwas bewegen können«, sagte er.

Gabriel nannte als Beispiele den Mindestlohn, gleichen Lohn für gleiche Arbeit bei Leiharbeitnehmern und Stammbelegschaft, doppelte Staatsbürgerschaft und die Verankerung des Rechts auf Volksabstimmungen im Grundgesetz. Als »schweren Fehler« bezeichnete der SPD-Chef die Vereinbarungen in der Großen Koalition 2005 zur Erhöhung der Mehrwertsteuer und vor allem zur Einführung der Rente mit 67. Daher rühre auch das tiefe Misstrauen der Basis gegen die Neuauflage einer Großen Koalition.

Gabriel sagte, es gehe ihm um Vereinbarungen, die spürbar die Lebensbedingungen der Menschen in Deutschland verbesserten. Dazu sei ein gesetzlicher und flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde »wichtig«. So der SPD-Chef. »Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen gleichen Lohn für gleiche Arbeit erhalten, dass diese fürchterlichen Werksverträge eingedämmt werden, dass wirklich mehr Geld für Bildung, für Ganztagsschulen, für Kindertagesstätten vorhanden ist.«

Der frühere Linksparteichef Klaus Ernst sagte[1], Gabriel lasse nun die »Katze aus dem Sack«. Ein Politikwechsel falle mit der SPD aus, so Ernst auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, der den Sozialdemokraten vorwarf, die »Wähler betrogen« zu haben.

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, reagierte[2] im Sozialen Netzwerk Facebook »echt sauer«. Eine Aussage wie jene von Gabriel zum jetzigen Zeitpunkt in der Presse platziert, heiße »im Klartext, aufzugeben und all jene ins Leere laufen zu lassen, die noch für die Durchsetzung dieses Wahlversprechens kämpfen wollten«.

Zuvor war nicht nur bei der SPD-Linken Unmut über die Blockadehaltung der Union in der Frage möglicher Steuererhöhungen laut geworden. Ohne stärkere Belastung für Besserverdiener sei kein Politikwechsel möglich, sagte die Vorsitzende des linken Flügels DL21, Hilde Mattheis, am Freitag in Berlin. Es gebe eine chronische Unterfinanzierung von Bund, Ländern und Gemeinden. »Es ist nicht die Aufgabe der SPD die Wahlversprechen der Bundeskanzlerin umzusetzen und auf Steuererhöhungen zu verzichten, sondern mit klaren Konzepten und Verhandlungsergebnissen, die auch Finanzierungsvorschläge beinhalten, für einen Politikwechsel einzutreten«, erklärte Mattheis.

Nach der Bekanntgabe der neuen Steuerschätzung drang auch der Mehrheitsflügel der Sozialdemokraten wieder auf steuerliche Mehrbelastungen für Vermögende. »Wir müssen weiterhin über Steuererhöhungen bei den hohen Einkommensverdienern und Vermögenden nachdenken«, sagte SPD-Fraktionsvize Joachim Poß der »Neuen Osnabrücker Zeitung« vom Freitag.

Die Finanzplanung der nächsten Bundesregierung müsse auf einem »soliden Fundament« aufbauen, argumentierte Poß. »Dazu gehört, dass heute nötige Investitionen nicht aus erwarteten Steuermehreinnahmen in vier Jahren finanziert werden können.« Der SPD-Mann äußerte auch die Befürchtung, dass die tatsächlichen Steuereinnahmen geringer ausfallen könnten als in der am Donnerstag vorgelegten Steuerschätzung vorhergesagt, weil dabei zugrundegelegte Wachstumserwartungen »sehr optimistisch« seien. Steuerlichen Mehrbelastungen für Unternehmen erteilte Poß aber eine Absage, daher müsse sich die Union »um das Wirtschaftswachstum keine Sorgen machen.

Unions-Fraktionschef Volker Kauder bekräftigte dagegen das Nein der CDU/CSU zu Steuererhöhungen. Es müssten «zwei Ziele eingehalten werden: keine neuen Schulden und keine Steuererhöhungen», sagte Kauder der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Die Partei- und Fraktionsspitzen müssten daher darauf achten, «dass die Arbeitsgruppen nicht beliebig viele Wünsche auflisten», sagte der CDU-Politiker.

Der Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann, wurde von einem ZDF-Reporter mit den Worten zitiert[3], er mache sich Sorgen, ob die Unions-Leitplanke «keine Steuererhöhung» noch stehe. Agenturen/nd

Links:

  1. https://twitter.com/ernst_klaus/status/399072641048674304
  2. https://www.facebook.com/ulrich.schneider.79/posts/536873143071486
  3. https://twitter.com/StefanLeifert/status/398885721517195264