Knapp 15 Jahre nach dem Umzugsbeschluss des Bundestages wird wieder um die Hauptstadtfrage gestritten. Die verfassungsmäßige Verankerung der Rolle Berlins wollen die Bonn-Anhänger nutzen, auch der Rhein-Stadt Grundgesetz-Status zu verschaffen.
»Die bescheidene Selbstsicherheit Bonns«, wünschte sich der ehemalige CDU-Arbeitsminister Norbert Blüm am 20. Juni, »sollte uns auch in Zukunft begleiten.« Das war 1991 während der Bundestagsberatungen zur Hauptstadtfrage - und die Zukunft ist heute.
15 Jahre nach dem Umzugsbeschluss macht sich die Bonn-Lobby verstärkt Hoffnungen auf die Verewigung eines Provisoriums. Zur Abfindung Bonns war damals vereinbart worden, dass der ehemalige Verwaltungssitz am Rhein auch nach dem »Umzug« der Regierung nach Berlin weiter Standort von Ministerien bleiben soll. Seither hat jedes Ressort in jeder der beiden Städte einen Dienstsitz, Bundespräsident und Kanzler auch - und sechs der14 Ministerien haben in Bonn sogar ihren Hauptsitz. Die Folge: massenhaftes Beamten-Pendeln und »unnötig hohe« Reisekosten von rund 10 Millionen Euro pro Jahr, wie der Steuerzahlerbund kritisiert. Allerdings würde ein kompletter Umzug der Regierung bis zu fünf Milliarden Euro kosten - und damit deutlich teurer.
Hauptstadt sein ist ebenfalls teuer. Deshalb hat das klamme Berlin darum gerungen, dass die »Präsentation des Gesamtstaates« als Bundesaufgabe im Grundgesetz anerkannt wird - und damit auch die Verpflichtungen an den Bund übertragen werden, für eben diese zu sorgen. Ein neuer Artikel soll dafür in das Grundgesetz eingefügt und alles weitere durch ein Gesetz geregelt werden.
Die Verfassungs-Formel wiederum ist ein Überbleibsel der Förderalismus-Kommission, die sich zwar nicht auf ein Gesamtergebnis einigen konnte. Doch Vize-Kanzler Franz Müntefering (SPD) und CSU-Chef Edmund Stoiber waren sich im Rahmen der Koalitionsverhandlungen näher gekommen, so dass eine entsprechende Vorab-Einigung als Anhang in den Koalitionsvertrag kam. Dieser Vorschlag enthält einen »Begleittext«, mit dem die Rolle Bonns als Co-Hauptstadt festgeschrieben würde - zur Freude der Bonner Lobby.
Berlins Linkspartei-Fraktionschef Stefan Liebich dagegen glaubt, »der neuen Regierung mangelt es an Entschlossenheit«, fürchtet teure Doppelstrukturen und zudem, dass Schwarz-Rot kein echtes Interesse habe, die von Berlin erhoffte Hauptstadtfinanzierung auf eine »solide und angemessene Grundlage zu stellen«. Der SPD-Politiker Wolfgang Thierse sagte, »wir machen uns lächerlich, wenn wir in einem geeinten Land auf Dauer eine geteilte Hauptstadt haben«. Und die Berliner FDP nannte die vorgeschlagene Variante eine »totale Überkompensation für Bonn«.
Dort begrüßt man dagegen die Formulierung für einen neuen Artikel 22 im Grundgesetz, die im Übrigen nicht neu sei. Für eine »Bekräftigung der bestehenden Aufgaben Bonns« sei es nun aber nötig, so SPD-Bürgermeisterin Bärbel Dieckmann, eine Mehrheit zu finden - eine Zwei-Drittel-Mehrheit.