Der chinesische Volksmund meint, dass der Unterschied zwischen Deutschland und Japan so deutlich sei wie der zwischen Himmel und Erde. Wir wissen zu schätzen, dass die Mehrheit der heutigen Deutschen Mut haben, sich mit den Verbrechen des Hitler-Faschismus auseinanderzusetzen. Das kann man von der japanische Regierung nicht behaupten; 55 Jahre nach der Kapitulation Japans weigert sie sich immer noch, die Kriegsverbrechen der japanischen Aggressoren in China einzugestehen.
In einer Hinsicht jedoch enttäuschen mich die Deutschen auch: Hiesige Historiker haben offensichtlich Angst davor, sich ernsthaft der Geschichte der deutschen Aggression und Kolonisierung in China zu widmen. Offenkundig versuchen sie, diese zu verdrängen, zu vertuschen, zu beschönigen. Entsprechende Erfahrungen habe ich auf dem Internationalen Tsingtau- Symposium 1998 im Deutschen Historischen Museum in Berlin gemacht. Da war zu hören: Deutschland war kein imperialistischer Staat, Tsingtau keine Kolonie. Als ich korrigieren wollte, wurde mir das Wort entzogen, das Mikrophon regelrecht aus der Hand gerissen.
Vor kurzem nun war ich wieder zu einem Symposium geladen, diesmal von einem militärhistorischen Institut. Erinnert werden sollte auch an den Boxer-Aufstand, der vor 100 Jahren begann und durch eine vom deutschen Feldmarschall Graf von Waldersee geführten Invasionsarmee mit Truppen aus acht Ländern blutig niedergeschlagen wurde. Ich blieb diesmal der Veranstaltung fern, wollte nicht erneut Redeverbot riskieren.
Die mit Tinte geschriebene Lüge kann die mit Blut geschriebenen Fakten nicht auslöschen. Hier die Geschichte des Boxer-Aufstandes aus chinesischer Sicht:
Die korrupte und schwache Qing-Regierung der Mandschus hatte nicht die Macht, gegen die Imperialisten in China zu kämpfen. Sie nutzte den Geheimbund «Yiho-tuan» (Gesellschaft für Gerechtigkeit und Harmonie) aus. Die so genannten Boxer waren Bauern, Handwerker, arme Städter, Transportarbeiter, Hausierer - eine von mystischen Vorstellungen durchdrungene Organisation, die sowohl die Mandschus als auch die Imperialisten in China hasste. Es waren tapfere Männer und Frauen, die sich durch Geschicklichkeit im Boxkampf auszeichneten. Ihre Waffen waren Schwerter, Lanzen, Schlagstöcke. Was für Chancen hatten sie gegen die modern bewaffneten, professionellen
- steht Klee nicht allein da. Auch die Jenaer Medizinhistorikerin Susanne Zimmer mann fand Belege über die Verstrickung des Kinderarztes in die Euthanasie. Beispielsweise bescheinigt Ibrahim in einem handschriftlichen Brief an den Chefarzt der Nervenheilanstalt Stadtroda bei Jena einem Zwillingskind eine «offenbar aussichtslose Zukunft». Weiter- «Vielleicht könnte er bei Ihnen eine nähere Beobachtung finden. Euth.? Heil Hitler, Ibrahim.» Was das bedeutete, habe Ibrahim gewusst, so die Ärztin.
In Stadtroda wurden systematisch Psychiatrie-Patienten und behinderte Kinder umgebracht. Die «Beobachtung» in Stadtroda endete mit dem Tod des Kindes im Sommer 1944. Offizielle Todesursache «Herz-Kreislaufschwäche bei fieberhaftem Darminfekt». Susanne Zimmermann formuliert ihre Erkenntnisse vorsichtig. «Eine Verstrickung Ibrahims in die Kinder-Euthanasie kann nicht mehr ausgeschlossen werden», sagt sie der fassungslosen Zuhörerschaft in der Rathausdiele. Mehr als eine nur passive Haltung Ibrahims sei möglich, setzt sie hinzu. Man müsse das noch weiter erforschen, auch die Umstände, unter denen Ibrahim möglicherweise Schuld auf sich lud. Vielleicht habe sich der in Kairo geborene und seit 1912 mit deutschem Pass ausgestattete Ibrahim als Ausländer unsicher gefühlt.
Die Vorwürfe gegen Ibrahim wiegen immerhin so schwer, dass die Universität Soldaten der westlichen Staaten? Die Niederlage war programmiert. Zudem wur den die Boxer auch von der Qing-Regierung sabotiert. Sie schloss mit den imperialistischen Mächten ungleiche Verträge ab, die China nicht nur riesige territoriale und finanzielle Verluste brachten, sondern auch Schmach und Schande. Zudem wurde die Qing-Regierung gezwungen, einen Sonderbeauftragten, den «Sühneprinzen», nach Deutschland zu schicken, um beim deutschen Kaiser Abbitte zu leisten. Wofür? Waren Chinesen in Deutschland eingefallen?
Am 27 Juli 1900 hatte der deutsche Kaiser Wilhelm II. in Bremerhaven vor dem nach China abgehenden «Expeditionskorps» die berüchtigte «Hunnenrede» gehalten: «Pardon wird nicht gegeben; Gefangene nicht gemacht. Wer Euch in die Hände fällt, sei in Eurer Hand ... so möge der Name Deutschland in China bekannt werden, dass niemals ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen.» Die Worte seiner Majestät waren Befehl. Die deutschen Truppen gehorchten. Waldersee gestand: «Der Umfang des Schadens, der dem Land... durch Verwüstung und Raub zugefügt worden ist, wird sich niemals berechnen lassen, aber er muss gewaltig sein.»
Wir Chinesen sind kein nachtragendes Volk. Deutschland genießt in China ein hohes Prestige. 100 Jahre nach der blutigen Niederschlagung des Boxer-Aufstandes sehe ich jedoch mit Sorge, dass dieses Wohlwollen leider nicht die gebührende Resonanz in Deutschland gefunden hat. Jüngstes Beispiel: Beim Empfang des chinesischen Botschafters in Berlin anlässlich des 50. Jubiläums der Volksrepublik China waren weder der Bundespräsident noch der Bundestagspräsident, weder der Bundeskanzler noch der Bundesaußenminister anwesend und nicht einmal der Regierende Bürgermeister. Versäumnis oder Absicht?