nd-aktuell.de / 11.02.2000 / Politik / Seite 11

Zwischen Propaganda und politischem Karneval

Von Lutz Kirchenwitz

Billy Bragg, engagierter Rock-Lie-› dermacher aus London, kam 1989 das zweite Mal zum Festival des politischen Liedes nach Berlin/DDR. Zum Rahmenprogramm gehörte ein Besuch der Mauer am Brandenburger Tor. Am Abend machte Bragg im Konzert ironische Bemerkungen über die Mauer - ein Sak rileg ersten Ranges nach DDR-Maßstäben. Ein Verantwortlicher sagte ihm daraufhin, er werde nie wieder in Ostberlin auftreten. »Sie wussten es damals noch nicht - aber sie hatten Recht«, meint Bragg. »Denn als ich das nächste Mal wieder da war, gab s kein Ostberlin mehr, wo ich hätte auftreten können.« Braggs zweiter Festivalbesuch endete also mit einem Eklat. Dennoch war er sofort bereit, zu einem Jubiläumsfestival nach Berlin zu kommen, denn was sich ihm vom Festival vor allem eingeprägt hatte, waren menschliche Begegnungen und internationale Solidarität. In dieser Episode wird die ganze Wider sprüchlichkeit des Festivals, werden ehr liches Engagement und Instrumentalisierung, Weltoffenheit und Enge,. Förderung und Repression sichtbar. Viele betrachten das Festival als diskreditiert. Für Wolf Biermann war es nur eine Veranstaltung, die »die Bonzen regelmäßig inszenier ten ..., wo sie die Kaisers-Geburtstagssänger auftreten ließen«. Andere sprechen von »Propagandaveranstaltung« oder »Ersatzprotestkultur«. Im Buch »So funk tionierte die DDR« heißt es hingegen, es sei den Dogmatikern nie gelungen, »das Festival zum ausschließlichen Instrument ihrer Politik zu machen«, es sei ein Fenster zur Welt gewesen, das »auch von Kulturfunktionären genutzt wurde, um frische Luft ins Land zu lassen«.

Das Festival des politischen Liedes war ein DDR-Ereignis ersten Ranges und eine »internationale Institution« (Mikis Theodorakis 1983) der Liedermacher Folk und Weltmusikszene. Von 1970 bis 1990 trafen sich alljährlich ca. 50 bis 80 Künstlerinnen und Gruppen aus 30 Ländern in Berlin. Sie traten in 50 bis 60 Veranstaltungen vor mehreren zehntausend Zuschauern auf. Prominente Namen waren darunter wie Bots, Makeba, Rodriguez, Quilapayün, Seeger und Theodorakis. Die Namensliste der westdeutschen Künstlerinnen, die in Berlin auftraten, reicht von Degenhardt und Floh de Cologne über Kunze und Liederjan bis zu Wader, Wecker und Zupfgeigenhansel. Zu den DDR- Teilnehmern gehörten u.a. Ändert, Gundermann, Karls Enkel, Oktoberklub, Schöne, Wacholder und Wenzel. Das Festival war Meeting, Werkstatt und Volksfest zugleich und zeichnete sich durch eine sehr kommunikative, solidarische Atmosphäre aus. Die künstlerische Palette des Festivals reichte von schlichten Amateur darbietungen bis zu politischer Kunst auf höchstem professionellem Niveau, von herkömmlichen Stilrichtungen des politischen Liedes bis zu experimentellen Musikstücken und größeren Werken. Neben den Konzerten gab es ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Workshops, Kolloquien, Exkursionen und Feiern.

Das Festival hatte sich aus Jubiläumskonzerten des Oktoberklubs entwickelt. Zunächst war die FDJ-Bezirksleitung, ab 1975 der FDJ-Zentralrat Hauptveranstalter, und 1980 wurde ein hauptamtliches Büro Festival des politischen Liedes gebildet. Die Förderung durch FDJ und SED war beträchtlich, aber die Festivalor ganisation blieb zu großen Teilen ehrenamtlich, war »Jugendobjekt«, wie man damals sagte... Das Festival war für viele eine »linke kreative Insel«, ein Freiraum, wo Dinge ausprobiert werden konnten, die in der DDR bis dato nicht üblich waren. Dadurch konnte das Festival eine Ästhetik entwickeln, die sich vom Stil sonstiger FDJ-Veranstaltungen erheblich unterschied. Für die DDR-Jugend war das Festival ein Fenster zur Welt, ein »politischer Karneval«, wie Hans-Eckardt Wenzel meint: »Das Festival setzte den Alltag der DDR kurz außer Kraft«. Das Interesse und die Begeisterung waren nicht verordnet, sondern echt.

Aber das Festival hatte auch eine Kehr seite, war Repräsentationsveranstaltung, wurde instrumentalisiert und manipuliert. Hauptmangel war, dass der offene Dialog verhindert und Kritik unterdrückt wurde. Mit einer rigiden »Sanktions- und Verbotspolitik gegenüber Künstlern der DDR« (Offener Brief von DDR-Liedermachern 1990) sorgte der Zentralrat der FDJ dafür, dass in den Hauptveranstaltungen des Festivals eine weitgehend harmonische DDR vorgeführt wurde. Das Festival war eng verknüpft mit der Zeitgeschichte der 70er und 80er Jahre, mit Vietnam und Chile, mit Kaltem Krieg und Mauer, mit Friedensbewegung und Kampf gegen Apartheid, mit Modernisierungsversuchen und dem Zusammenbruch des Staatssozialismus. Es hatte Höhepunkte, wenn Siege zu vermelden waren, wenn politische Bewegungen und Aktionen Lieder hervorbrachten, die das Gefühl, der Zusammengehörigkeit vermittelten und die Hoffnung auf eine bessere Welt bestärkten. In den Achtzigern nahmen Desillusionierung und Unbehagen zu, und bei den Festivals 1988 und ‹89 waren Krisenerscheinungen und Endzeitstimmung weder zu übersehen noch zu überhören.

Mit dem Zusammenbruch der DDR verlor das Festival in materieller und geistiger Hinsicht seine Basis. Ein eigens gegründeter Förderverein versuchte, die Festivaltradition unter neuen Bedingungen mit dem ZwischenWelt-Festival von 1991 bis 1994 fortzusetzen, gab jedoch 1995 wegen konzeptioneller und finanzieller Schwierigkeiten auf.

Diesen Monat ist es 30 Jahre her, dass das erste Festival des politischen Liedes stattfand. Aus diesem Anlass wird es in Berlin vom 24. bis 26. Februar wieder ein Festival des politischen Liedes geben, ver anstaltet von »Lied und soziale Bewegungen e.V«, einem Verein, der sich seit Jahren um Spurensicherung auf dem Gebiet des politischen Liedes bemüht, »PRO- FOLK e.V.« und »GFAJ e.V«. Bei der ersten Ankündigung dieses Ereignisses im »Neuen Deutschland« fragte die Autorin Christine Wagner, »ob ein neues Festival des politischen Liedes den Blick in den Spiegel erspart«, und unterstellte den Veranstaltern Scheu, ja Angst, sich ehrlich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Das Gegenteil ist jedoch richtig. Die kritische Aufarbeitung der Festivalgeschichte wird einen großen Raum einnehmen und in aller Öffentlichkeit stattfinden. Eine Broschüre zum Thema liegt bereits vor. Im Dortmunder »plane« Ver lag erscheinen die CDs »Festival des politischen Liedes - Die Siebziger« und »Festival des politischen Liedes - Die Achtzi- ›ger«. Es wird Filmausschnitte und Diskussionsrunden geben. Zugleich geht es auch um die Frage nach den veränderten Bedingungen und Formen politisch engagierten Musizierens heute. Sind Aufklärung und Weltveränderung passe und nur noch Sich-Einrichten und Spaß-Haben angesagt? Gehört das politische Lied auf den Müllhaufen der Geschichte?

Es wird ein kleines Festival, das auf großem ehrenamtlichem Engagement und einem bescheidenen Budget basiert. Unterstützung kommt u.a. von der Rosa- Luxemburg-Stiftung. Förderer, Sponsoren und Spender werden noch gesucht. »Das Festival des politischen Liedes kehrt zurück«, hieß es bereits im Magazin... Klar ist jedoch einstweilen nur, dass ein Jubiläumsfestival stattfindet. Vielleicht wird es ein neuer Anfang.

Karten: 030-44 02 43 37 Info: 030-4 42 80 32 Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft, BLZ 100 205 00, Kontonr. 3283400 Unser Autor ist Kulturwissenschaftler. Er war Gründungsmitglied des »Oktober klub«.