nd-aktuell.de / 06.02.2006 / Kultur

Ein Dichterleben

Heinz Kahlau: sämtliche Gedichte

Horst Haase
Sie liegt einem gut in der Hand, die kompakte Taschenbuchausgabe von Heinz Kahlaus Gedichten. Über tausend Seiten, auf Dünndruckpapier, rotes Leinen mit eingeprägter Goldschrift. Klassisch gewissermaßen. Ein Dichterleben zwischen zwei Buchdeckeln. Herausgegeben von Lutz Görner, bekannt als Rezitator, der Lyrik unter Zuhörer bringt und deshalb Kahlaus Art zu dichten besonders zu schätzen weiß. Hat jener seit seinen Anfängen bei Hunderten Lesungen doch oft volle Säle gehabt. Was seit dem zunehmenden Rückzug von Poesie aus der Öffentlichkeit selten genug ist. Die Anordnung der Gedichte entspricht im Wesentlichen der Folge von Bänden, die Kahlau publiziert hat. Von seinem ersten noch reichlich plakativen Buch »Hoffnung lebt in den Zweigen des Caiba« (1954) bis zu jüngsten, zuvor noch unveröffentlichten Versen. Dieses Publikationsprinzip ist einleuchtend, wird aber problematisch, wenn einzelne Texte in verschiedenen Bänden auftauchen. Wo sollen sie dann abgedruckt werden? Das ohnehin schmale, jedoch wichtige Bändchen »Probe« (1956) schmilzt aus diesem Grunde arg zusammen, so dass seine enorme Sprengkraft im Jahr des XX. Parteitages der KPdSU schlechterdings nicht mehr nachzuvollziehen ist. In diesem Umkreis gehört übrigens auch das Gedicht »An einen Terroretiker«, das damals nur in der französischen »Le Monde« erschien und Kahlau in große Schwierigkeiten brachte. Es hatte definiert, was er unter einem wahren Kommunisten verstand. Gewöhnungsbedürftig heute (wie auch damals schon) die »Maisfibel« von 1960, eine originelle poetische Anleitung zum Maisanbau, im lyrischen Umfeld wohl eher eine Provokation. Wo gibt es so etwas sonst noch, sieht man vom Vorbild der Brechtschen »Erziehung der Hirse« ab? Bei dem Meister aber hatte der Jüngere schließlich drei Jahre gelernt. Denken vor allem, wie er im Gespräch mit dem Herausgeber unterstreicht. Und listig provozieren. In den folgenden Jahrzehnten dann deutlich eine stärkere Orientierung auf das Individuelle, den zwischenmenschlichen Alltag. In »Fluss der Dinge« (1964), »Du« (1971), »Flugbrett für Engel« (1974) ist das für Kahlau typische Gedicht ausgebildet. Lakonisch verkürzt oder beredt, gereimt oder freirhythmisch, strophisch vielfältig formuliert er Verhältnisse und Beziehungen, die ihn und seine Mitmenschen angehen und bewegen. Nicht ohne moralischen Impetus zielt er auf die Widersprüchlichkeit menschlicher Existenz. Beachtlich einige sozial konkrete Porträts und die berlinischen Gedichte des Zille-Buches (1969). Seine populären Liebesgedichte setzen weniger auf Empfindungen, reflektieren vielmehr die Schönheiten und Schwierigkeiten des Miteinander gleichberechtigter und selbstbestimmter Individuen. Es sind einfache Wahrheiten, die Kahlau schlicht und eingängig darbietet, wobei kleine Alltagsereignisse oft als Anlass dienen. Fern komplizierter Metaphorik werden Verständnis und Brauchbarkeit angestrebt. Dabei geraten ihm gelegentlich auch Banalitäten unter, die hier nicht ausgespart sind, will der Band doch eine Gesamtansicht geben, wozu auch die zeitgeschichtlichen Rezensionen beitragen, die den Texten der Gedichtbände angefügt sind, ebenso wie die aufschlussreichen Betrachtungen des Büchleins »Der Vers/ Der Reim/ Die Zeile« von 1974, das die »anderen Werke« ausmacht, die der Titel ankündigt. In den 80er Jahren rücken in Kahlaus Gedichten die menschheitsbedrohenden Gefahren verstärkt ins Bild. Gleichzeitig werden Rechthaber, Phraseure, Alleswisser angeprangert, dogmatische Haltungen offen gelegt. In »Fundsachen« (1984) schon fordert er »eine neue Denkweise«. Quer zu liegen wird zum Symbol seiner Haltung, die einem Gedichtband den Titel gibt (»Querholz«, 1989), ebenso die schiefe Ebene: »Wie wir bloß raufgekommen sind/ so nach und nach«. Schuldgefühl paart sich mit Resignation. In den Nachwende-Bänden dann (»So oder so«, 1992, »Kaspers Waage«, 1992) ist Erschütterung spürbar, Wut und Zorn, auch Kritik an der »Gelderwelt«. Bemerkenswert hier wie früher schon die Auseinandersetzung mit seinem Deutschsein. Trost spendet nun hauptsächlich die Natur und zur Aufgabe wird es, sich um den »Lebensrest zu kümmern«, durchzuhalten. Alter und Tod ist zunehmend thematisiert. So schließt sich in diesem Band ein weiter Bogen, in den sich auch die über 140 erstveröffentlichten Texte einpassen. Es ist der Stärken und Schwächen ausweisende Blick auf das dichterische Werk, der uns auch die Persönlichkeit des Dichters anschaulich macht. Ergänzt wird diese Sicht durch ein Interview, das der Herausgeber einleitend mit ihm führt und in dem Heinz Kahlau ausführlicher als anderswo zu seiner Biographie und den Besonderheiten seiner Arbeit informiert. Abschließend umreißen zwei Schriftsteller den sympathischen Charakter ihres Kollegen, so dass jedermann der Aufforderung des Herausgebers am Ende seiner Einführung folgen kann: auf Heinz Kahlaus 75. Geburtstag am heutigen Tag das Glas zu erheben. Heinz Kahlau: Sämtliche Gedichte und andere Werke (1950-2005). Hrsg. von Lutz Görner. Aufbau, 1048 S., Leinen, 18 EUR.