Von Wolfgang Hübner
Eine Gruppe der Hamburger PDS, die - so Gregor Gysi - seit Jahren die PDS terrorisiert, soll nach Auffassung des Bundestags-Fraktionschefs deutlich in die Schranken gewiesen werden. Der Streit zwischen Karl-üebknecht-Haus und dem Hamburger Führungszirkel ist eine Langzeitgroteske.
Erst kürzlich trat Monika Balzer wieder der Angstschweiß auf die Stirn. Die Hamburgerin bestellte telefonisch Bücher bei einem linken Verlag und wurde, weil sie als Sprecherin der Kommunistischen Plattform der Hansestadt unter Interessenten einigermaßen bekannt ist, in gedehntem Ton gefragt: «Ach, Sie sind eine von diesen Hamburgern?»
Immer wieder kommt Balzer in die Verlegenheit, sich zu rechtfertigen. Vom Münsteraner Parteitag reiste sie, obwohl Delegierte, ziemlich schnell wieder ab, weil sie es satt hatte, mit den, wie sie sagt, «Chaoten aus Hamburg» verwechselt zu werden. Von zu Hause verschickte sie dann eine Presseerklärung, um der Welt mitzuteilen, dass die Hamburger Plattform nichts zu tun hat mit jener «Clique um die studentische Gruppierung Liste Links», die am Wochenende in Münster Gregor Gysi und den halben Saal verärgert hatte. Als Gysi am Sonntag sprach, schwenkten sie Fähnchen, brachen in theatralisches Gelächter aus und legten ihm am Ende eine Banane auf den Platz. Wie wahre Revolutionäre eben umgehen mit Abweichlern. Gysi ist ein Lieblingsfeind - wer auch außerhalb enger linker Zirkel akzeptiert wird, ist verdächtig. Selbst Wahlkampfveranstaltungen Gysis in Hamburg wurden gestört. PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch sagt deshalb, diese Leute «wollen nicht, dass die PDS erfolgreich ist».
Die Münsteraner Provokation, wie Monika Balzer es nennt («Die gebärden sich wie Affen im Wald»), ist kein Einzelfall. Seit Jahren reist ein Grüppchen um die Hamburger PDS-Landessprecher Kirsten Radüge und Kristian Glaser quer durch die Bundesrepublik von einer PDS-Veranstaltung zur anderen und zieht ihr Programm ab: Serien von Geschäftsordnungsanträgen, Zwischenrufe, Wortmeldungen im Gestus «selbsterwählter Par teiparia», wie PDS-Pressesprecher Hanno Harnisch sagt. Auf konkrete Prpbleme lassen sie sich weder in Diskussionen noch in Landtags-Wahlprogrammen ein. Immer geht es um das große Ganze. Kommunalpolitik sei ihnen völlig egal, meint Har nisch. Parteichef Lothar Bisky stöhnte nicht nur einmal wegen Leuten auf, die bei jedem erdenklichen Thema erst einmal über die Verwertungsbedingungen des Kapitals reden wollen.
Etwa 240 Mitglieder zählt die Hambur ger PDS. Viele davon sind seit längerer Zeit Karteileichen, weil sie aus Verärgerung über die Methoden des Führungszir kels zu keiner Versammlung mehr gehen. Anders wäre es nicht zu erklären, dass ein Grüppchen von etwa 20 Leuten den Landesverband seit Jahren beherrscht. Hinzu kommen ideologische Kämpfe zwischen anderen Gruppierungen. Monika Balzer spricht auch von einem völlig anderen Parteiverständnis als in der PDS sonst üblich. Glaser, Radüge und ihre Freunde fühlten sich als Avantgarde, ließen auf Versammlungen der PDS ständig DKP Mitglieder sprechen, «und an Abstimmungen beteiligt sich sonst wer». Der mit Stimmrecht verbundene Sympatisantenstatus werde nach Belieben erteilt oder - bei Bedarf selbst langjährigen Mitstreitern - entzogen. Inzwischen läuft eine Beschwerde gegen die letzte Landesver Sammlung, die statutenwidrig vorbereitet worden sei.
Wenn Radüge, Glaser und andere milde drauf sind, geißeln sie Gysi und ßisky als devote, regierungswütige Anpasser ans Kapital. Wenn sie richtig vom Leder ziehen, schreiben sie Gysi nach einer Podiumsdiskussion mit dem Chefvolkswirt der Deutschen Bank, dann könne er sich auch gleich mit Diktator Pinochet treffen. In Wahlkämpfen brillierten sie mit Plakaten, auf denen Freiheit für alle RAF-Gefangenen verlangt wurde. Oder mit der Sentenz, Soldaten seien Mörder, auch wenn sie mal einen Spaten in die Hand nehmen. Das plakatierten sie, nachdem die Bundeswehr geholfen hatte, das Jahrhunderthochwasser in Brandenburg in Grenzen zu halten.
Den Hamburger Landesverband haben solche Aktionen teils in die Lethargie, teils in die Spaltung getrieben. PDSler, die die radikale Masche nicht ertragen und mitmachen wollen, treffen sich längst nicht mehr im Landesbüro, sondern in einer Außenstelle der Bundestagsfraktion. Anderswo hat man die Nase voll von den Hamburger Querelen. Hanno Harnisch spricht von kampfgestählten Schreihälsen. Auch in westlichen Landesverbänden verstärkt sich der Unmut.
Nach dem Münsteraner Parteitag hofft Monika Balzer, dass sich etwas tut. Diver se Hamburger PDS-Kreisverbände und Arbeitsgemeinschaften wollen für einen Neuanfang sorgen. Denn dass die PDS in dieser Großstadt noch immer nicht übers Splittergruppendasein hinaus gekommen ist, wird als schmerzlich empfunden. Wenn überhaupt, dann hätte das Projekt PDS West hier, in der Metropole mit linker Tradition, Fuß‹fassen können. ›AlieNHiigs sind auch Warnungen vor Übertreibungen zu hör‹en. Matthias Gärtner1, Fraktiorisvize in Sachsen-Anhalt, hielte es für fatal, «die ultra-dogmatische Hamburger Vierer bände» noch aufzuwerten oder als Pappkameraden zum Kampf gegen andere Minderheitsströmungen in der PDS zu benutzen. Parteivize Diether Dehm sieht außer der Hamburger Gruppe in der Partei «niemanden, der nicht dazu gehört. Der Pluralismus muss bleiben.» Hamburg sei ein Einzelfall, bestätigt Hanno Harnisch. Bisher haben sich die PDS-Oberen an den Hamburgern die Zähne ausgebissen. Mal versuchten sie s im Guten - haben mit ihnen diskutiert, Seminare abgehalten. Mal versuchten sie s mit Konfrontation - nicht nur einmal gelobten PDS-Vorständler, nach Hamburg zu fahren und im Landesverband für einen Wechsel zu kämpfen. Irgendwann sind sie müde geworden und schrieben Hamburg innerlich ab. Nun hat Gregor Gysi seinen Nachfolgern, wie immer sie heißen mögen, das Problem rübergeschoben. Was Gysi und Bisky in zehn Jahren nicht geschafft haben, sollen die Neuen zum Warmmachen erledigen. Es gibt durchaus ersprießlichere Erbstücke.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/855731.um-ungeniessbare-hamburger.html