nd-aktuell.de / 28.04.2000 / Politik / Seite 13

Ein treuer Beamter

Karlen Vesper

Man erinnere sich an den Aufschrei der führenden Köpfe der (west)deutschen Historikergilde, als deren Schüler es wagten, die Lehrer der Lehrer ob ihrer Verstrickung in die Verbrechen des Hitler-Regimes unter die Lupe zu nehmen. Das wurde als Frevel an den Ahnen empfunden, von denen man zwar sehr wohl gewusst habe, dass deren Weste so rein nicht gewesen ist zu faschistischer Zeit, von denen man aber in die Geheimnisse der Zunft eingeweiht wurde, das Handwerk erlernt und denen man er go einiges zu danken hat. Hier nun ist jemand angetreten, der keine falsche Dank barkeit kennt und seinen einstigen Lehrer und Kollegen Franz Huter vom »Himmel universitärer Anbetung« herunterholt. Das Buch von Gerhard Oberkofler, Leiter des Universitätsarchivs in Innsbruck, über den »Soldaten und Historiker« Huter geriet nicht zu einer Abrechnung. Es ist eine akribisch recherchierte, auf Selbstzeugnissen, Nachlassteilen, Briefen und Gesprächserinnerungen gestützte kritische Auseinandersetzung mit dem Lebenslauf eines sich nach Herrschaft und Macht ausrichtenden Intellektuellen.

Den in kleinbürgerlichem Milieu, als Sohn einer Bauernfamilie, in Bozen aufgewachsenen Huter drängte es gleich großen Teilen der bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Kriegstaumel versetzten männlichen Jugend zu den Waffen. Im März 1917 rückte er zum 2. Regiment der Tiroler Kaiserjäger ein. Bis ins hohe Lebensalter hinein wird er Präsident des Altjägerclubs sein, der sich am ersten Samstag eines jeden Monats im Jagerstüberl des »Ulrichhauses« am Bergisel traf, um Erinnerungen an »die gute alte Zeit« auszutauschen und dem Gesang von Kampf- und Kameradenliedern zu frönen.

Aus italienischer Gefangenschaft heimgekehrt, studierte Huter in Innsbruck Geschichte, um seine Heimat nun fortan als Historiker vor »der Besitznahme durch Italien« zu verteidigen. Als ein Beispiel für das reaktionäre, irrationale Klima seiner zeit an dieser Alma mater nennt Oberkofler die Störung der Vorlesungen von Karl Kraus im Frühjahr 1920 durch die Studenten. Huter schloss sich dem Akademisch alpinen Verein an, der sich apolitisch gab, jedoch bedingungslose »Treue gegen Staat und Kirche« verlangte. Im Oktober 1925 trat er als Volontär in das Landesregierungsarchiv für Tirol in Innsbruck ein, drei Jahre später wird er am Haus- Hof- und Staatsarchiv in Wien angestellt. In jener Zeit begann er mit seinen Arbeiten am Tiroler Urkundenbuch, von Oberkofler als »bleibende wissenschaftliche Leistung« Huters benannt.

Dem fortschrittlich-intellektuellen Leben in Wien stand Huter fern. Die antifaschistischen Abwehrkämpfe im Februar 1934 waren für ihn »nicht viel mehr als eine im Gegensatz zum Lauf der öster reichischen Geschichte stehende Anek dote«. Die »Heimholung« Österreichs ins Hitler-Reich gibt ihm das Gefühl, in großer historischer Zeit zu leben. Er freut sich, der deutschen »Volksgemeinschaft« angehören zu dürfen. »Er jubelte am Heldenplatz, während die ersten Terror kommandos unterwegs waren... Sein ganzes Umfeld war mit der mörderischen Zielsetzung der Nazis im Großen und Ganzen im Einklang... Die >Bewegung< gab den Kleinbürgern Bedeutung und die Hoffnung, an der faschistischen Gewinnbilanz... mitzuprofitieren. Die massenhaft einsetzende rassistische Verfolgung der Juden wie der Terror gegen die politischen Gegner, vor allem gegen die Kommunisten, wurden nicht nur hingenommen, sondern als reinigend, und im besten Fall, vorübergehend eingeschätzt.« In einer Rechtfertigung schreibt Huter dann 1946: »Als dann der Anschluss vollzogen war und der Eid auf Hitler abgelegt war, habe ich mit derselben Hingabe dem deutschen Staat (wie zuvor Österreich) gedient. Auch in der Anmeldung zur Partei sah ich nichts Anderes als das Bekenntnis des Staatsbeamten zum Staat, dem er dient.«

Der Beamte dient treu - zunächst, ab August 1939 wieder als Soldat, diesmal in der faschistischen Wehrmacht, mit der er Polen überfällt, dann als Archivar an der Wiener Universität, die von jüdischen und demokratisch-gesinnten Kollegen »gereinigt« wurde und ab Dezember 1941 als außerordentlicher Professor in Innsbruck. Hitler persönlich hatte die Ernennungsur künde unterzeichnet, »in der Erwartung, daß der Ernannte getreu seinem Diensteide seine Amtspflichten gewissenhaft er füllt und das Vertrauen rechtfertigt...«

Huter trägt nun pflichterfüllt historisches Archivgut von Südtirol zusammen. Eine Klage gegen ihn in Italien nach dem Krieg wegen Diebstahls (»Tolomei-Ar chiv«) endet aus Beweisnot mit Freispruch. Unbehelligt kann Huter bis zu seiner Emeritierung in den 60er Jahren an der Innsbrucker Universität wirken - trotz seiner eindeutigen Identifizierung mit der nazistischen Ideologie, wie Oberkofler präzise belegt. Er zeigt Parallelen zu Carl Schmitt auf, der 1936 die deutschen Juraprofessoren aufgefordert hatte, ihre Studenten auf den »notwendigen Kampf gegen den jüdischen Geist« einzuschwören und für die »unversehrte Reinheit unseres deutschen Volkes« zu kämpfen.

Oberkoflers Resümee: »Der größere Teil der Intellektuellen läuft stets der jeweiligen politischen Macht nach, wird von ihr ausgehalten und korrumpiert, anstatt innerhalb der gegebenen Gesellschaft so etwas wie eine kritische Instanz zu sein. Was die rotgrünen Intellektuellen Europas, zumal Deutschlands, im Frühjahr 1999 an theologischen Argumenten aufgeboten haben, um den Killerkrieg der NATO gegenüber Jugoslawien und gegen >die Serben< zu rechtfertigen, unterscheidet sich von der Vorlesung des Franz Huter über die >Eiterbeule< nur durch das raffiniertere Vokabular.« Huter (ebenso wie Schmitt, Erdmann, Conze, Schieder und viele andere) - ein Lehr und Mahnbeispiel für heranwachsende Wissenschaftlergenerationen.

Gerhard Oberkofler- Franz Huter. Soldat und Historiker Tirols. StudienVerlag, Innsbruck-Wien 1999. 237S., br., 40,80 DM.