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Fraktions-Gezerre um Nikolai Bersarin

CDU lehnt Rückgabe der Ehrenbürgerschaft ab Von Klaus Joachim Herrmann

  • Lesedauer: 3 Min.

Die überfällige Rückgabe der Berliner Ehrenbürgerschaft an den ersten sowjetischen Stadtkommandanten Nikolai Bersarin wird heute im Abgeordnetenhaus beantragt, aller Voraussicht nach aber nicht entschieden. Wegen der CDU wird die SPD einen eigenen Antrag vorerst nicht einbringen, Vorstößen von PDS und Bündnis 90/Die Grünen droht spät abends die Verweisung in den Ausschuss.

Unter der Beschuldigung, sein Wirken habe »nicht den Richtlinien für eine Ver leihung« entsprochen, war Bersarin 1992 Opfer einer Säuberung der Liste der DDR- Hauptstadt bei der Schaffung einer ver einten gesamtberliner geworden. Nur sieben von 25 Persönlichkeiten wurden dabei übernommen. Vorwürfe, der General sei 1940 an Deportationen in Lettland beteiligt gewesen, erwiesen sich als haltlos. Bersarin war zu diesem Zeitpunkt nicht vor Ort, sondern im sibirischen Irkutsk.

Das Bild Bersarins konnte unlängst durch eine Ausstellung im Karlshorster deutsch-russischen Museum richtig gestellt werden. Auch die SPD würdigte in ihrem Antrag nunmehr sein Wirken, das »weit über die Pflichten eines kommunistischen Stadtkommandanten« hinausging. »Es zeichnete sich durch Humanismus und weltanschaulich-politische Toleranz aus und war geprägt von einem hohen persönlichen Engagement für das geistige und kulturelle Leben der Stadt.«

Was jedoch zur Korrektur einer offenkundigen Fehlleistung und Wiederher Stellung der historischen Wahrheit ein parteiübergreifendes Vorgehen verdiente, ist nun in die Niederungen eines Gezerres der Fraktionen hinabgesunken.

Hauptverantwortlich ist dafür die CDU Laut Koalitionsvereinbarung, erläuterte die SPD-Abgeordnete Irana Rusta, könne man einen Antrag nur mit dem Partner gemeinsam einbringen. Die SPD-Fraktion beschloss den Text bereits am 2. März 2000 und überwies ihn an die CDU-Frak tion. Dort habe man »aber noch Klärungsbedarf und Schwierigkeiten«. Für die Politikerin ist das nicht unverständlich. »Der Blick in den Osten war ja immer Schwarz-Weiß. Nun liegt der Fall eines Kommunisten vor, wo es so Schwarz-Weiß offensichtlich nicht geht.« Sie stellte aber klar, dass nach Beratung im Ausschuss ein entsprechender Antrag - »wenn wir die CDU nicht überzeugen können« - mit den den Grünen und der PDS verabschiedet würde. »Es wäre aber gut, eine große Volkspartei mit im Boot zu haben.«

Ablehnung äußerte Uwe Lehmann- Brauns, stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Die Biographie Bersarins sei »nicht hinreichend geklärt«, die Entlastung von den Vorwürfen reiche nicht aus. »Unstreitig hat der General Anordnungen zu Gunsten der Bevölkerung getroffen, das wird auch von der CDU so gesehen.« Man könne heute aber nicht sagen, ob er »aus Pflicht oder aus Neigung handelte«. Sein Vorgehen habe zudem durchaus dem Völkerrecht entsprochen, sei auch für die westlichen Stadtkommandanten selbstverständlich gewesen. Sieben Wochen würden nicht reichen, um die Voraussetzungen zu erfüllen, die man an einen Ehrenbürger Berlins zu stellen habe.

Den Umweg in den Ausschuss begründete Michael Cramer (Bündnis 90/Die Grünen) damit, dass »die SPD zu feige ist«. Sie könne ja zustimmen, auch CDU-Mitglieder könnten. Er jedenfalls rechnet erst mit der Annahme des Antrages, wenn bei der SPD »die Fingerchen oben sind«.

»Peinlich genug«, befand Wolfgang Brauer (PDS), »dass sich die Fraktionen nicht zu einem gemeinsamen Vorgehen in der Lage sahen«. Man hatte angeregt, zur Vermeidung ideologischer Debatten einen Personenantrag einzubringen. Dann hätten die Grünen einen eigenen gewollt, und die SPD hatte einen. Nicht nur wegen der zum Teil identischen Begründungen befand er- »Das ganze Verfahren ist irgendwie albern.«

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