Irgendwann vor langer Zeit wurde der Schauspieler Gert Fröbe gefragt, was er sich fürs Jahr 2000 absolut nicht vorstellen könne. Er antwortete: Dass Brigitte Bardot dann 66 sein wird. Nun ist Gojko Mitic zwar in vielen Beziehungen etwas ganz Anderes als die Bardot. Aber dass auch er dieses Jahr in den Club der Sechziger gerät, kommt einem ebenso unwirklich vor. Schien es nicht immer so, als ob der aufrechte, muskulöse, braun gebrannte DEFA-Chefindianer niemals altern könne? Blieb er nicht stets die Inkarnation von Jugendlichkeit, Sportlichkeit, Energie? Gojko macht uns vor, dass das Älterwerden nicht unbedingt mit dem Verlust dieser Eigenschaften verbunden sein muss: Ungebrochen reitet er durch die Prärie, wenn auch kaum noch im Film, so doch wenigstens auf der Freilichtbühne in Bad Segeberg. Dort trat er die Nachfolge von Pierre Brice an, lässt sich als Winnetou feiern und bleibt, im Privatleben, der sympathische, zugängliche Naturbursche von nebenan. Schließlich hatte er mit 55 in einem Interview bekannt: »Bei den Indianern gibt es keine Rente. Für mich zählt nicht das zeitliche Alter. Ich fühle mich wie ein Zwanzigjähriger und habe keine Bedenken, dass sich das so schnell ändern wird...«
Mit Zwanzig hatte seine Schauspieler Karriere einst auch begonnen. Er war Sportstudent, als ihn die Scouts des Westberliner Filmproduzenten Horst Wendlandt entdeckten und ihn nach mehreren kleineren Rollen mit einer größeren in »Unter Geiern« (1964) besetzten. Im Vor spann hieß er damals noch Georg Mitic. - Zwei Jahre später, bei der DEFA, wurde er »unser Gojko«: Sein Babelsberger Debüt »Die Söhne der großen Bärin« sahen im Laufe der Zeit zehn Millionen Zuschauer; und die Fanpost landete gleich waschkorbweise in seiner Köpenicker Wohnung. Ob als Tokei-ihto oder Chingachgook, Osceola, Tecumseh oder Ulzana - er stand unangefochten an der Spitze der Publikumsgunst. Und schrieb auch als Szenarist an DEFA-Indianerfilmen mit, die, etwas anders als Karl May, die rassistische und kolonialistische Politik des weißen Amerika kritisierten und zugleich ein Hohelied auf die Ureinwohner sangen. Gojko spielte dabei stets den Part des Retters und Rächers. Sein Heldenmut, seine Würde und seine romantische Aura bedienten beim Publikum eine tief im Unterbewusstsein verwurzelte Sehnsucht nach Reinheit, Unschuld und Kraft. Sie nährten den Traum, ohne drückende Vorgeschichte einfach nur gut sein zu dürfen.
Nach 1989 als die ostdeutschen Western die USA erreichten, kam diese Botschaft auch bei den »richtigen« Indianern an. Als Gojko nach Seattle eingeladen wurde, erwartete ihn schon auf dem Flughafen eine indianische Abordnung mit Trommeln und Gesang. Später legte man ihm eine bunte Decke um die Schultern.
»Gefertigt aus den Früchten der Mutter Erde«, sollte sie den DEFA-Star bei allem beschützen, was er zukünftig tut. Und als vor kurzem ein indianisch-stämmiger US- Schauspieler den Covertext für die Videoausgabe eines DEFA-Indianerfilms schrieb, ließ er wissen, dass ihn Mitic, der »ferne Verwandte«, in seiner Haltung bestärkt habe, selbstbewusst zu seiner Her kunft zu stehen.
Und Mitics eigene Wurzeln? Er ist Ser be, begreift sich aber nach wie vor als Jugoslawe (»auch wenn das heute schon fast ein Schimpfwort ist«) und hat sehr unter dem Bürgerkrieg gelitten. Der NATO-Angriff brachte ihm und seiner Familie tiefe Wunden bei. Ihn bedrückte, »dass die eigentlichen Hintergründe des Krieges in den europäischen Medien wenig bekannt gemacht werden. Kaum jemand weiß, dass Moslems und Serben, die gegeneinander aufgehetzt wurden, einst vom gleichen Blut abstammten. Ich werde den Verdacht nicht los, dass in Europa bestimmte Leute gar kein Interesse haben, den Krieg zu beenden, sondern daran verdienen wollen...«
Wenn er nicht auf der Bühne steht, reist Gojko Mitic manchmal mit Texten indianischer Häuptlinge durchs Land. Am liebsten sind ihm deren philosophische Essays über die »Mutter Erde« und die Ehrfurcht vor ihr. »Wir können viel von den Indianern lernen. Aber der weiße Mann meinte immer, fortschrittlicher zu sein. Ich wehre mich gegen den Konsumrausch. Jeder braucht nur ein Bett. Man kann nur einmal essen...« Sagt Gojko, der auf Leinwand und Bühne blendend ausschaut - und außerdem noch klug und sensibel ist.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/864017.sehnsucht-nach-unschuld-und-kraft.html