nd-aktuell.de / 09.03.2006 / Politik

Ein fast unwiderstehliches Angebot

Um schlagartig sämtliche Schulden zu tilgen, verkauft Dresden alle seine Wohnungen

Hendrik Lasch, Dresden
Dresden beschließt heute als erste deutsche Kommune, seine Wohnungsunternehmen komplett zu verkaufen. Mit dem Erlös sollen alle Schulden getilgt werden. Nicht nur die Linkspartei ist tief gespalten.

Ein »schöner Traum«, gar »ein Wunder« - auch nüchterne Journalisten griffen zu feierlichen Worten, als sie vor zwei Wochen über eine Pressekonferenz des Dresdner Oberbürgermeisters Ingolf Roßberg schrieben. Der FDP-Politiker gab die Konditionen bekannt, zu denen die Stadt ihr Wohnungsunternehmen losschlagen kann, dessen Verkauf 2005 beschlossen wurde - als letzter Ausweg aus der Finanznot, derentwegen die Löcher im Stadthaushalt noch tiefer klaffen als die sprichwörtlichen Gruben auf den Dresdner Straßen.
Nachdem Unternehmen wie die Stadtentwässerung bereits verkauft wurden, stimmte eine Mehrheit im Stadtrat mehr oder weniger zähneknirschend der Veräußerung der Woba zu. Erhofft wurde ein Erlös von 650 Millionen Euro. Als Roßberg indes die Offerte des Investmentfonds Fortress erläuterte, trauten selbst viele Stadträte ihren Ohren nicht. Das Unternehmen will 1,7 Milliarden Euro zahlen, wovon nach Abzug der Woba-Schulden ein Reinerlös von 982 Millionen Euro bliebe. Alle Verbindlichkeiten der Stadt könnten damit getilgt werden.
Es sind nicht nur die nackten Zahlen, die selbst kühnste Erwartungen übertreffen. Eine Sozialcharta, die passable Bedingungen für Mieter wie die knapp 500 Beschäftigten des Unternehmens sichern soll, wurde von Fortress nicht nur verbindlich akzeptiert; die Fondsmanager erstellten sogar eine Art Gegenplan. So sollen 41 000 statt geforderter 35 000 Wohnungen im Bestand gehalten werden und betriebsbedingte Kündigungen erst nach fünf statt verlangten drei Jahren möglich sein. Der Vertrag enthalte zudem »Daumenschrauben«, heißt es. Roßberg beteuert, es gebe »keinen Haken in dem Geschäft«.
Das wollen Kritiker des Verkaufs, darunter linke Parteien, Mieterbund und Gewerkschaften, nicht wahrhaben. Sie vermuten Ausstiegsklauseln im Kleingedruckten, beklagen zu kurze Fristen für Sozialregelungen und verweisen auf Erfahrungen andernorts. So seien Stuttgarter Mieter der Wohnungsgesellschaft Gagfah nach dem Verkauf an Fortress mit Mieterhöhungen von mehr als den zulässigen 20 Prozent konfrontiert worden. Als der Mieterverein intervenierte und auf eine geltende Sozialcharta verwies, wurde geantwortet, dass solche »Vereinbarungen und Verpflichtungen überwiegend keine Wirkung gegenüber Dritten entfalten, zu denen auch die Mieter gehören«.
Drehen konnten die Skeptiker die Stimmung freilich nicht. Es schien sogar, als sorge der Verkauf überregional für mehr Aufregung als bei den Betroffenen selbst. Der Mieterbund veröffentlichte erst kürzlich eine erneute Philippika, Landes- und Bundespolitiker von CDU bis Linkspartei warnten. Ein Bürgerbegehren in der Stadt blieb jedoch erfolglos: Wenn die Verkaufsgegner heute vor dem Rathaus noch einmal demonstrieren, können sie nur 45 000 Unterschriften vorlegen. Die Mehrheit im 70 Mitglieder zählenden Rat dürfte daher sicher stehen.
Den stärksten Druck dürften dabei die neun der 17 Stadträte der Linkspartei gespürt haben, die den Verkauf befürworten. Dabei gehört es noch zu den vergleichsweise fairen Mitteln politischer Auseinandersetzung, wenn der Ex-Bundestagsabgeordneten Christine Ostrowski gestern per Zeitungsinserat ein eigenes Zitat vorgehalten wurde, wonach der Erhalt kommunalen Wohneigentums »die wichtigste Voraussetzung« sei, um soziales Wohnen zu sichern. Ein anderer Stadtrat der Linken soll dagegen Morddrohungen erhalten haben. Der tiefe Riss in der Stadtpartei wird mit dem heutigen Votum nicht verschwunden sein. Über langfristige Folgen lässt sich nur spekulieren. Bundestags-Fraktionschef Oskar Lafontaine, der kürzlich in Dresden die Privatisierung öffentlichen Vermögens als unvereinbar mit linken Grundprinzipien bezeichnete, hat die Befürworter des Verkaufs bereits aufgefordert, sich eine andere Partei zu suchen.


Chronologie
Ein Jahr Aufregung

 Erste ernsthafte Überlegungen zum Verkauf der Woba, der 47 857 Wohnungen und 1319 Gewerbeeinheiten gehören, gab es seit Frühjahr 2005. Auslöser waren Auflagen der Kommunalaufsicht zur Konsolidierung des Dresdner Haushalts. Eingespart werden sollten 600 Mio Euro.

 März 2005: Zunächst werden Varianten wie der Verkauf von Woba-Anteilen oder von Wohnungspaketen geprüft. Der erforderliche Erlös schien damit nicht zu erzielen.

 14. Juli 2005: Der Stadtrat beschließt den vollständigen Verkauf. Zustimmung kommt von CDU, FDP, 9 der 17 Stadträte der Linkspartei, einem SPD-Ratsmitglied und aus der Bürgerfraktion.

 3. August 2005: Eine Gesamtmitgliederversammlung der Linken lehnt den Verkauf ab und fordert umfassenden Mieterschutz.

 22. September 2005: Der Stadtrat beschließt eine weitreichende Sozialcharta Gleichzeitig beginnt eine Bürgerinitiative, der neben DGB und Mieterbund auch Linke, SPD und Grüne angehören, mit der Sammlung von Unterschriften für ein Bürgerbegehren.

 22. November 2005: Bei Fristablauf für das Bürgerbegehren liegen erst 40 000 statt der nötigen 63 000 Unterschriften vor. Gesammelt wird jetzt »auf Vorrat«, um das Quorum bis zum abschließenden Beschluss im März erfüllt zu haben. Auch dieses Ziel wird verfehlt: Die Sammlung stagniert bei etwa 45 000 Unterschriften.

 Januar 2006: Fristablauf für Angebote. Ein Lenkungsausschuss der Stadt prüfte zunächst vier, dann noch zwei Gebote.

 16. Februar: Der Kaufvertrag mit Fortress wird notariell beurkundet. Das Angebot gilt bis zum 10. März. Oberbürgermeister Ingolf Roßberg (FDP) empfiehlt dem Stadtrat, die Offerte anzunehmen.

 9. März: Der Stadtrat entscheidet endgültig über den Verkauf.


Fortress

Woran es der Stadt Dresden mangelt, das besitzt die Fortress (engl.: Festung) Investment Group LLC im Überfluss: liquide Mittel. Rund 15 Milliarden US-Dollar hat die in New York ansässige Beteiligungsgesellschaft seit ihrer Gründung 1998 bei institutionellen Investoren (Pensionsfonds, Stiftungen etc.) und wohlhabenden Einzelpersonen eingesammelt. Gemäß einer »konservativen« Anlagestrategie wurden bislang 60 Transaktionen vor allem im Bereich Wohnungen und Immobilienfinanzierung getätigt. Aktuell beläuft sich der Gesamtwert der Beteiligungen nach Firmenangaben auf 30 Milliarden Dollar.
Zu dem bunt gemischten Fortress-Portfolio gehören eine italienische Hypothekenbank, Pakete notleidender Kredite, Wohnungen des britischen Militärs und der fünftgrößte Anbieter von Mobilfunkmasten in den USA. Der hiesige Ableger, die Fortress Deutschland GmbH, hat bisher 110 000 Mietwohnungen in der Alt-Bundesrepublik erworben - durch Übernahme der Wohnimmobiliengesellschaft der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Gagfah, und der Immobilientochter NILEG der Norddeutschen Landesbank.
Jetzt soll die Lücke im Osten geschlossen werden. 1,7 Milliarden Euro will die Investmentfirma Fortress für die 47 600 Woba-Wohnungen in Dresdens berappen. Kein Pappenstiel, aber Deutschland-Chef Matthias Moser weiß die Vorzüge des »Leuchtturms« an der Saale zu schätzen: »Dresden ist eine der besten und wachstumsstärksten Städte Deutschlands.« Daher ist Fortress bereit, ein Drittel der Kaufsumme aus Eigenkapital aufzubringen - eine gemäß den Gepflogenheiten der Branche relativ hohe Quote. Und die Finanzfirma will für einige Jahre den Woba-Mitarbeitern Kündigungs- und den Mietern Bestandschutz gewähren.
Man sollte sich in Dresden aber keinen übertriebenen Erwartungen hingeben. Im Immobilienbereich erzielen Beteiligungsgesellschaften vor allem mit Mieterhöhungen und durch Umwandlung in Eigentumswohnungen die gewünschte Rendite. Kurt Stenger