nd-aktuell.de / 13.03.2006 / Kultur

Das arme Schwein von Halberstadt

Alle rügen Henning Rühe

Otto Köhler
Nun prügeln sie alle auf ihn ein. »Den Drohungen rechtsextremer Kräfte darf nicht nachgegeben werden«, rüffelt Sachsen-Anhalts Innenminister Klaus Jeziorsky (CDU) den Landrat von Halberstadt, den völlig parteilosen Henning Rühe. Der Fraktionschef der Linkspartei.PDS Wulf Gallert nennt Rühes Entscheidung »ungeheuerlich« und »feige«. SPD-Landeschef Holger Hövelmann verlangt von Rühe »Courage und Rückgrat«. Und der Zentralrat der Juden betont, Rühes Absage sei eine Bankrotterklärung der Politik vor der NPD. Dabei tut Rühe, das arme Schwein von Halberstadt, doch nur, was er in diesem Staat für seine demokratische Pflicht hält. Gut, er hat Konstantin Wecker vor die Tür gesetzt. Unter dem Motto »Nazis raus aus dieser Stadt« wollte der im Käthe-Kollwitz-Gymnasium auftreten, dessen Träger der Landkreis ist. Nazis aber gehören zu Halberstadt. Das machte die NPD dem Landrat klar, der verstand und das Konzert untersagte. Haben wir nicht gelernt, dass der Antifaschismus überwunden ist? Es war der ehemalige Bundespräsident und Präsident des Bundesverfassungsgerichtes Roman Herzog, der als sachkundiger Grundgesetzkommentator jede Sondervorschrift gegen den Rechtsextremismus aus unserer Verfassung hinausfegte. Bevor Herzog 1973 tätig wurde, galt noch der Artikel 139 des Grundgesetzes, der vorschrieb, dass die zur »Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus« erlassenen Rechtsvorschriften vom Grundgesetz nicht aufgehoben seien. Dieser Auffassung waren auch die früher maßgebenden Grundgesetzkommentatoren - bis Herzog kam, und angeekelt schrieb: das sei »obsolet«. Herzogs Urteil über den Grundgesetzartikel 139: »Abzulehnen ist insbesondere der Versuch, ihn als "Grundsatzaussage über die Haltung des GG gegenüber nationalsozialistischen und verwandten (z.B. faschistischen) Staatsauffassun-gen" anzusehen und insoweit natürlich fortgelten zu lassen.« Er schrieb dies im herrschenden Grundgesetzkommentar, der von seinem Doktorvater Theodor Maunz herausgegeben wurde. Maunz war Nazijurist, CSU-Kultusminister und beriet später die rechtsextremistische Deutsche Volksunion juristisch sehr erfolgreich. Lehrmeister Maunz selbst hatte unter Berufung auf die in der Verfassung verankerte Menschenwürde das Menschenrecht auf Faschismus wiederhergestellt. »Aus der Überstaatlichkeit und Zeitlosigkeit der Menschenwürde folgt«, so lehrte er, »daß sie den Entnazifizierungsvorschriften, die lediglich staatlich gesetztes Recht vorübergehender Natur sind, übergeordnet sein muß.« Damit ist alles klar. Wer gegen rechts singt, verstößt gegen die Menschenwürde unserer Faschisten. Landrat Rühe verteidigt darum sein Wecker-Verbot: »Ich würde die Entscheidung wieder so treffen«. Der Mann weiß, in welchem Staat er Landrat ist.