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eej Finsterer Blick in den Schwarzwald

BUND befürchtet Vervielfachung der Orkanschäden durch planlose Aufräumarbeiten

  • Lesedauer: 5 Min.

Von Thomas Großmann

Weihnachten 1999 fegte der Orkan »Lothar« über den Südwesten Deutschlands. Auf über 1,3 Millionen Hektar Waldfläche wurden Millionen Bäume entwurzelt, jahrzehntelange Planungen und Investitionen der Waldbesitzer hinweggefegt. Deren Interessen und die der Umweltverbände stoßen nun ein halbes Jahr später aufeinander.

Försters Alpträume: Viele Hänge des Schwarzwaldes sind kahl und baumlos. Hier wie auch im Rheintal hat der Orkan »Lothar« die Region besonders schwer getroffen. 25 Millionen Kubikmeter Holz fällte der Sturm an zwei Tagen - über das Doppelte des jährlichen Holzeinschlags in Baden-Württemberg. Die Kahlflächen summieren sich auf über 40 000 Hektar. Die Wucht des Orkans hatte dabei nicht nur die Fichtenmonokulturen, sondern auch gut gemischte Waldgebiete zerstört. Das Stuttgarter Ministerium für den ländlichen Raum schätzte den Gesamtschaden auf 1,5 Milliarden Mark - neben den großen und kleinen Privatwaldbesitzern waren das Land und die Kommunen als Waldbesitzer ebenfalls hart betroffen. Außer den großen Mengen an unverwertbarem Holz, die der Sturm »verhauen« hat, entstehen den Waldbesitzern wirtschaftliche Schäden vor allem durch die dramatischen Preisrückgänge sowie durch die Kosten für die Aufarbeitung des Sturmholzes.

Noch Mitte Januar legte das Land Baden-Württemberg eine Soforthilfe von 100 Millionen Mark auf, um die Schäden für die Waldbesitzer durch Beratung und finanzielle Unterstützung zu begrenzen sowie eine »Werterhaltung des Rohstoffes für die Holzindustrie durch Konservierung« zu ermöglichen. Damit gab das Land den Startschuss für den Wettlauf um die schnellstmögliche Aufarbeitung und Vermarktung des Sturmholzes.

Mit einem gewaltigen Einsatz von Maschinen und Arbeitskräften begann das gefährliche Aufräumen noch Anfang Januar. Unter dem Druck der Vermarktung ging es zuerst an die großen Kahlflächen.

»Die Stämme liegen kreuz und quer über einander, riesige Wurzelteller stehen hoch, mannsdicke Bäume sind in Kopfhöhe abgesplittert«, berichten Beobachter. Hier aufzuräumen ist gefährliche Schwerstarbeit, das Unfallrisiko ist enorm. Bei Trennschnitt, Entzerren und Entasten gibt es immer wieder Quetschungen, Knochen- und Schädelbrüche, Sägewunden und gebrochene Wirbel. Bis Ende Mai, rechnet die Industriegewerk schaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU) vor, gab es allein in Baden-Württemberg 16 Tote und 2500 Verletzte. Statistisch gesehen ereigneten sich 70 Prozent der Unfälle im Privatwald. Von »finsteren Zuständen«, berichtet die IG BAU in ihrer Mitgliederzeitschrift. Unter großem Druck und mit vielen ungelernten, schlecht bezahlten Kräften wurde da gearbeitet. Neben dem Lohn wurde auch oft an Ausrüstung und Schutzbekleidung gespart, die hohen Unfallzahlen sprächen für sich, so die IG BAU Innerhalb der sechs Monate wurden insgesamt rund 12 Millionen Kubikmeter Holz aufgearbeitet. Was nicht mehr auf die Lagerplätze ging, versuchte man zu verkaufen. »Entgegen aller Beteuerungen kurz nach dem Orkan gab es später keine Solidarität beim Holzver kauf«, berichtet der Geschäftsführer des Waldbesitzerverbandes »Forstkammer Baden-Württemberg«, Martin Bentele. »Abgesehen von einer Region in der Nähe von Offenburg, verkauften viele Waldbesitzer sogar noch mal fünf Mark billiger, nur um einen kleinen zeitlichen Vorteil zu erlangen«, erinnert sich Bentele.

Vor dem Sturm kostete der Kubikmeter Holz durchschnittlich 160 Mark, nach dem Sturm nur noch 100, davon gingen dann noch 50 Mark ab für die Kosten der Aufarbeitung, erläutert Bentele. An diesem ruinösen Holzpreis wird sich in den nächsten Jahren nichts ändern: Die ansässigen Sägewerke können bis 2001 maximal neun Millionen Kubikmeter aufnehmen,und die kurzfristig eingerichteten Holzlager platzen mit vier Millionen Kubikmetern aus allen Nähten.

Ein weiteres Problem macht den Förstern und Waldbesitzern zu schaffen. In den Sturmwurfflächen könnten sich die Borkenkäfer den Sommer über massenhaft vermehren, die Angst ist groß, dass sie im nächsten Jahr auch die noch stehenden Bäume anfallen, die dann ebenfalls gefällt werden müssten. Um das Schlimmste zu verhindern, wurden die Stämme, die nicht sofort abgefahren wer den konnten, entrindet und mit Pyrethroiden gespritzt. »Etwa zehn Prozent aller Stämme betrifft das«, schätzt die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt, eine Einrichtung des Ministeriums für den ländlichen Raum. Einer der zuständigen Bearbeiter erklärt, das Insektizid sei absolut ungefährlich. Zum einen sei die Konzentration des Holzschutzmittels mit maximal einem Prozent sehr gering und außerdem - einmal am Stamm getrocknet, hafte das Mittel ohne abgewaschen zu werden.

Walter Trefz, Forstbeamter und aktives Mitglied im Bund für Umwelt und Natur schütz (BUND) in Baden-Württemberg, lehnt den Insektizideinsatz strikt ab: »In den letzten Jahren musste die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft immer wieder Holzschutzmittel vom Markt nehmen, da sie sich doch für Menschen und Tiere als bedenklich erwiesen haben«, so der Forstmann. Es sei eine alte Erfahrung, dass man mit Gift nicht nur die Schädlinge treffe, sondern die natürlichen Abwehrmechanismen störe, so Walter Trefz.

In› einen Mitte Juni veröffentlichten »Freudenstätter Appell« hatte der BUND Baden-Württemberg die Forstverwaltungen und Waldbesitzer scharf kritisiert. »Die Sturmschäden werden jetzt noch vervielfacht durch das plan- und konzeptlose Vorgehen bei den Aufräumar beiten«, heißt es. Mit dem übereilten Einsatz von Großmaschinen würden riesige Flächen intakten Waldbodens verdichtet und für Jahrzehnte geschädigt. Außerdem würde die Forstwirtschaft infolge der Or kanschäden zusehends intensiviert, befürchtet der BUND

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