nd-aktuell.de / 22.04.2006 / Politik

»Und dann haben sie sich umarmt ...«

Ursula Rohleder war die jüngste Delegierte

ND: Sie waren dabei - auf dem Vereinigungsparteitag, unter Ihrem Mädchennamen Ursula Kemnitzer. Sie waren die Jüngste. Wie ist es dazu gekommen?
Rohleder: Ich bin 1945 in die KPD eingetreten, mit 18 Jahren. Ich komme aus kommunistischem Elternhaus.

Ihre Eltern waren von Beruf ...?
Vater war Tischler und Glaser, Mutter Chemiearbeiterin. Ich habe als Kind Hausdurchsuchungen durch die Gestapo miterlebt, wusste, dass meine Eltern Lebensmittelmarken für Genossen im Untergrund gesammelt, nach illegalen Quartieren gesucht, Verbindungen zu knüpfen versucht haben. 

Und wie ist nun Ihnen die Ehre zuteil geworden, am 21./22. April 1946 dabei sein zu dürfen?
Ich weiß es nicht. Ich war für die Vereinigung. Denn ich habe den unseligen Bruderzwist zwischen SPD und KPD in der eigenen Familie erlebt. Mein Großvater mütterlicherseits war ein eingefleischter Sozialdemokrat und hat auch meinen Vater als Rucksackkommunisten beschimpft. Das Tischtuch war zerschnitten. Kurz vor Kriegsschluss kam er aber zu uns und hat zu Vater gesagt: »Du hattest mit allem Recht. So etwas darf nie wieder passieren.« Das war auch prägend für mich. Und darüber habe ich dann in etlichen Versammlungen gesprochen. Vielleicht wurde ich deshalb delegiert.

Hat der Großvater mütterlicherseits die Vereinigung mitgemacht?
Ja. Wichtig war für mich aber vor allem, dass er sich noch mit meinen Eltern ausgesöhnt hat, auch politisch. Und das schien mir auch ein gutes Zeichen für die Vereinigung von SPD und KPD.

Sie waren Delegierte aus Sachsen-Anhalt. Wie war es in Berlin?
Ich war erschüttert über die Trümmerlandschaft. Wir waren am Tag zuvor da, denn es gab ja davor noch getrennte Konferenzen. Wir sind mit einem alten Autobus nach Berlin gefahren. Das war abenteuerlich und lustig. Am zweiten Tag habe ich Pieck, Ackermann, Ulbricht und all die anderen gesehen. Von der SPD Grotewohl und Buchwitz. Das war alles aufregend. Das Erregendste aber war, als hinter dem Präsidium die Fahne der vereinten Arbeiterpartei entrollt wurde. Und dann haben sie sich umarmt: Otto Grotewohl und Wilhelm Pieck.

Wie war die Atmosphäre?
Herzlich. Kommunisten oder Sozialdemokraten - es gab keinen Unterschied mehr, keine Spannung. Aber es war ja auch ein handverlesenes Gremium.

Böse Erfahrungen gabs nicht?
Auf dem Vereinigungsparteitag nicht. Nur, dass es mit der Organisation manchmal haperte. Aber das Essen war für die damalige Zeit großartig. Und es gab ein schönes Kulturprogramm. Ich hatte zu Hause viel zu erzählen. Und musste darüber auch am 1. September 1946 auf einer Kundgebung in Dessau sprechen. Vor 20 000 Menschen!

Und später?
Ja, später, nach 1948, hatte ich einige unangenehme Erfahrungen. Mein Mann, deutscher Kommunist aus Karlsbad, durfte 1951 nicht mehr als Lehrer an der Bezirksparteischule arbeiten. Er war 1. Bezirksjugendsekretär, hatte die FDJ bei uns mit aufgebaut. Und wurde nun aus der SED ausgeschlossen. Warum, habe ich nie erfahren. Später hörte ich nur, dass Sozialdemokraten, die ihn aus Karlsbad kannten, irgendwie gegen ihn Front gemacht haben. Er konnte nur noch als Kraftfahrer arbeiten. Auch ich bekam Schwierigkeiten, durfte nicht an der Parteihochschule studieren und konnte keine Arbeit in Bitterfeld finden, wo meine Eltern noch wohnten. Bis ein Genosse gesagt hat: »Jetzt reichts aber!« Ich kam im Chemiekombinat unter und habe mich dann von einer Sachbearbeiterin hoch gearbeitet zum Bilanzierungsingenieur im Bauwesen.

Sie erfuhren auch später nichts über diese Sache mit Ihrem Mann?
Von offizieller Seite ist überhaupt nichts mitgeteilt worden. Und man hat ja selbst auch nicht darüber gesprochen. Jedenfalls kam ich mir damals wie eine Verfemte vor.

Sind Sie noch Parteimitglied?
Selbstverständlich.

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