nd-aktuell.de / 01.12.2001 / Politik

Schlampe oder Emanze?

FRAUENGESCHICHTE(N): Lady Mountbatten

Karlheinz Schädlich
Ihre früh verstorbene Mutter war die einzige Tochter von Sir Ernest Cassell, einem deutschen Juden, der, 1852 in Köln geboren, 18-jährig nach England auswanderte und in London eine Banklehre begann. Als er im September 1921 starb, hinterließ er ein Vermögen von etwa 600 Millionen Mark, ein paar schlossartige Landsitze und Brook House, seinen Londoner Stadtpalast in der Park Lane, mit einer millionenschweren Kunstsammlung. Die zeigte Sir Ernest am liebsten seinem besten Freund, König Edward VII.
Als ihr Großvater starb, war seine Lieblingsenkelin Edwina, geboren am 28. November 1901, noch ein Teenager. Ihr Vater William W. Ashley wurde 1932 als Lord Mount Temple of Lee geadelt, dank einer kurzen Ministerkarriere. Der Ashley-Stammbaum reicht über Heinrich VIII. bis weit vor Elisabeth I. und beginnt mit dem Königshaus Anjou-Plantagenet (13. Jahrhundert). Ashley besaß zwar ein paar Tausend Hektar Wiesen und Weiden samt Classiebawn Castle in Irland, aber nie genug Bargeld. Das änderte sich, als Edwina, mit 21 volljährig geworden, ihr Erbe antrat. Großvater Cassell hatte ihr rund 250 Millionen Mark plus Brook House hinterlassen und sie zur reichsten Erbin der britischen Inseln gemacht.
Am 18. Juli 1922 heiratete sie einen mittellosen Marine-Leutnant namens Louis Mountbatten, der eigentlich ein deutscher Prinz von Battenberg war. Zur Trauung und auf der Party in Brook House (1600 Gäste) erschienen König Georg V. und Queen Mary. Edwina hatte in die »Royals« hineingeheiratet; der Bräutigam war ein Urenkel von Kaiserin Victoria und mithin sogar Thronanwärter, wenngleich auf einem hinteren Platz. Jedenfalls begriff Edwina ihre Heirat als Startschuss für Jahrzehnte fieberhafter Rastlosigkeit. Allein oder mit einer ihrer drei lesbischen Freundinnen Marjorie, Jean und Nadja de Torby (mit Mountbattens Bruder unglücklich verheiratet), durchraste sie im Rolls-Royce die Iberische Halbinsel, im Luxuswaggon der Trans-Sib halb Asien und heuerte auf Tahiti auf einem 50-Tonnen-Schoner an, dessen Mannschaft nach Perlen tauchte. Es folgten Reisen nach Südamerika, Mexiko, Vorderasien, Marokko und Indochina. Zwischendurch gebar sie zwei Töchter, um die sich das Personal kümmerte, und war vorübergehend Sozialistin und Gegnerin der Monarchie. Im Frühjahr 1932 wurde in der High Society gemunkelt, Edwina habe Affären »mit dunkelhäutigen Gentlemen«. Namen wurden nicht genannt, aber alle Welt wusste Bescheid. Es war Paul Robeson, der im Savoy-Theater als Othello Triumphe gefeiert hatte. Vom Königshaus massiv unter Druck gesetzt, musste Edwina vor Gericht im Zeugenstand bestreiten, »dass sie diesen Mann jemals gesehen« habe.
Solange Georg V. regierte, durfte sie sich im Buckingham Palast nicht mehr blicken lassen. Ende 1934 verschwand sie ohne Lebewohl plötzlich nach New York. Was dort geschah, verschwieg sie auch ihren besten Freunden. Die sprachen später von »Edwinas black period« und halten dicht, als sie ihre Affäre mit dem populären schwarzen Jazzpianisten Leslie Hutchinson in London fortsetzte. Ihrem Biografen Richard Hough zufolge war ein neuer Liebhaber für Edwina nicht viel wichtiger, als eine neue Flasche Dom Perignon zu bestellen. Mountbatten ergab sich seinem Schicksal (»Ehrlich gesagt, von Frauen habe ich keine Ahnung«), machte Karriere, sammelte Adelstitel und brachte es bis zum letzten Vizekönig von Indien. Eine Scheidung hätte seinen Aufstieg und seine Finanzen ruiniert. Edwina starb 58-jährig nach einem Herzanfall am 21. Februar 1960 auf Nord-Borneo (heute Malaysia). Über ihren letzten Geliebten schrieb Richard Hough: »Niemand wird bestreiten, dass es eine der großen Love Stories der Geschichte war.« Sie dauerte von 1946 bis zu ihrem Tod. Der Mann hieß Jawaharlal Nehru, war nach der Unabhängigkeit 18 Jahre lang der erste Ministerpräsident Indiens und, so Richard Hough, »Edwinas first and only great love«. - Mountbatten wurde am 27. August 1979 in einer irischen Atlantikbucht mitsamt seiner Jacht von der IRA in die Luft gesprengt.