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  • Politik
  • Der Mescalero-Aufruf und die Unterwerfung der 68er

Treppenwitz der Geschichte

  • Lesedauer: 5 Min.

Von Peter Nowak

Nun haben sie also die abverlangte Buße getan - unsere Minister, deren Kinderstube die 68er Bewegung war. Unser Autor fasst in einem historischen Rück blick zusammen, worum es ging.

Jahrzehntelang bemühten sich Medien und Politiker den politischen Aufbruch von 1968 bis 1978 endgültig für erledigt und vergessen zu erklären. »1989 hat 1968 besiegt« lautete der passende Slogan. Doch plötzlich befindet sich die Republik mitten in einer Debatte über einen Text, der die Linke in den 70er Jahre bewegte. Die sozialliberale »Frankfurter Rundschau« (FR) betrat beim Abdruck des so genannten Buback-Nachrufs am 25. Januar Neuland. »Der Text löste heftigste öffentliche Reaktionen aus. Trotz der monatelangen Diskussionen über den Text veröffentliche ihn keine deutsche Zeitung im Wortlaut, auch die FR nicht«, hieß es im Vorspann der Redaktion.

Fast ein Vierteljahrhundert ist es her, als eben jener Buback-Nachruf, der nach dem Pseudonym des damals anonymen Verfassers auch Mescalero-Text genannt wird, die BRD gehörig durcheinander wirbelte. Am 7 April 1977 war der Generalbundesanwalt Siegfried Buback in Karlsruhe von einem Kommando der Rote Armee Fraktion (RAF) erschossen wur den. Am 25. April erschien in einer Göttinger AstA-Zeitung unter der Überschrift »Buback - ein Nachruf« ein mit Mescalero unterzeichneter Artikel, der sich mit dem Attentat auf Buback und die Reaktion der Linken auseinandersetzte. Der Autor kam aus dem Umfeld der Spontis. So lautete die Selbstbezeichnung jener undogmatischen Linken, die sich in der BRD Mitte der 70er Jahre von den existierenden kommunistischen Kleinstparteien abgrenzten und statt auf Organisationsdiziplin und Treue zur Arbeiterklasse auf Basisdemokratie, Kampf gegen Hierarchien und die Ablehnung absoluter Wahrheiten setzten. Die ganze Argumentationslinie des vom Ver fasser als »Rülpser« bezeichneten Textes atmet den Geist der auf Subjektivität und Moral basierenden Sponti-Ideologie.

Mescalero lehnt das Attentat auf Buback entschieden ab. »Unser Weg zum Sozialismus (wegen mir zur Anarchie) kann nicht mit Leichen gepflastert sein.« Aber er weigert sich auch, in die staatlich ver ordneten Trauerrituale für den Generalbundesanwalt einzustimmen. »Meine unmittelbare Reaktion, meine Betroffenheit nach dem Abschuss von Buback ist schnell geschildert. Ich konnte und wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen.« Der Halbsatz von der »klammheimlichen Freude« wurde schließlich zum geflügelten Wort, mit dem der weithin unbekannte Text und sein Verfasser in die Terrorismus-Ecke gerückt. Der CDU-nahe Ring Christlicher Studenten (RCDS) stellte gegen den Göttinger Asta Strafanzeige wegen der Billigung von Mord. Daraufhin durchsuchte die Polizei am 27 Mai in einer Großaktion in Göttingen das AstA-Büro, zwei Druckereien, eine Buchhandlung, die Büros ver schiedener linker Organisationen und von 17 Privatwohnungen. In Solidarität mit den von Repression Betroffenen wurde der Buback-Nachruf in den nächsten Wochen in verschiedenen Alternativ- und Studentenzeitungen nachgedruckt. Bundesjustizminister Vogel kündigte an, gegen jeden Nachdruck »unter jedem in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkt« Strafanzeige zu erstatten.

Mit einer gegen die Kriminalisierung des Buback-Nachrufs gerichteten Stellungnahme von 138 Göttinger Wissenschaftlern im Juni 1977 und einer kurze Zeit später von 47 Hochschullehrern und Rechtsanwälten aus Westberlin, Bremen, Niedersachsen und Bielefeld herausgegebenen Dokumentation »Buback - ein Nachruf« weitete sich der Konflikt um den Sponti-Text zu einer Auseinandersetzung zwischen dem starken Staat und auf Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit pochenden kritischen Intellektuellen aus. »Mit seiner Veröffentlichung wollen wir zugleich dazu beitragen, der Kriminalisierung, der Illegalisierung und dem politischen Äußerungsverbot entgegenzutreten«, schrieben die Professoren im Vor wort ihrer Dokumentation. Doch bald wurden sie selber in den Medien verleumdet und kriminalisiert. Als im September 1977 der niedersächsische Wissenschaftsminister Pestel den 13 niedersächsischen Mitherausgebern der Dokumentation eine Erklärung‹ zur Unterschrift vorlegte, in der sie ihM Treue gegenüber dem Staat bekräftigen sollten, hatte die Furcht vor dem drohenden Verlust ihrer Professur und der öffentliche Druck Wir kung gezeigt. 12 Professoren unterzeichneten diese Erklärung, wenn auch unter Vorbehalt. Der Hannoveraner Sozialpsychologe Peter Brückner weigerte sich beharrlich und wurde vom Dienst suspendiert und mit Hausverb›ot an der Univer sität belegt. Bis zu seinem Tod im Jahre 1982 konnte er nicht mehr an seinen Ar beitsplatz zurückkehren.

Die Westberliner Herausgeber des Buback-Nachrufs kamen glimpflicher davon. Nachdem das Berliner Kammergericht mehrmals eine Anklage wegen Verunglimpfung des Staates und Volksverhetzung verschoben hatte, wurden sie im November 1977 endgültig freigesprochen. Dieses als Prominentenprozess bezeichnete Verfahren setzte der Aufregung um den Buback-Nachruf inder Öffentlichkeit ein Ende. Allerdings wurden weniger bekannte Personen, darunter 164 Studenten der Pädagogischen Hochschule Westber lins, im Zusammenhang mit dem Nachdruck und dem Verteilen des inkriminier ten Textes zu Geldstrafen verurteilt.

Im Rückblick war die Auseinandersetzung um den Buback-Nachruf das Rück zugsgefecht einer im Gefolge der 68er Bewegung entstandenen Neuen Linken, die sich eine grundsätzliche Umwälzung aller Unterdrückungsverhältnisse zum Ziel gesetzt hatte. Mit dem sprichwörtlichen Deutschen Herbst war diese Linke endgültig an ihre Grenzen gestoßen. Kur ze Zeit später, Ende der 70er Jahre, wur den die Spontis ein entschiedener Motor für die entstehende Alternativbewegung, die bald über grüne und bunte Listen den erfolgreichen Marsch durch die Institutionen des Staates antrat.

Dass sich ausgerechnet Bundesumweltminister Jürgen Trittin nach fast einem Vierteljahrhundert noch einmal wegen des Buback-Nachrufs rechtfertigen muss, ist ein Treppenwitz der Geschichte. Schließlich hatte er mit dem Verfasser lediglich gemeinsam, dass er zur gleichen Zeit an der selben Göttinger Universität studierte. Aber anders als »Mescalero« gehörte Trittin nicht zu den Spontis, sondern zum Kommunistischen Bund, einer Organisation undogmatischer Maoisten, die 1977 das Grundrecht der Meinungsfreiheit auch für den Autoren des Buback Nachrufs verteidigten. Diese Zivilcourage bringt der Umweltminister heute nicht mehr auf. Nach einigem Zögern hat er sich schließlich doch noch von einem Text distanziert, mit dem er nie etwas zu tun hatte. Nicht alle ehemaligen 68er-Aktivisten sind so distanzierungswütig. Unter dem Motto »Ich bekenne: Ich habe mich gewehrt, habe protestiert und demonstriert ...« taten in einer in der FR vom 7 Februar veröffentlichten Anzeige mehr als hundert .Wissenschaftler, Gewerkschaftler und Journalisten kund, dass sie die Deutungsmacht über die Protestbewegung nicht dem Staat überlassen wollen. »Als im >deutschen Herbst< elementare Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden, habe ich die Drohung mit dem Polizeistaat nicht schweigend hingenommen«, heißt es in dem Aufruf.

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