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Angestellte dürfen demnächst wieder mitreden

Verfassungsrichter kippen ein CDU-Gesetz zur Personalvertretung Sachsen

  • Lesedauer: 3 Min.

Von Hendrik Lasch, Leipzig

Drastische Einschränkungen der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst Sachsens, die von der CDU 1998 durchgesetzt wurden, hat das sächsische Verfassungsgericht wieder gekippt.

Schon während der Urteilsverkündung konnten die Gewerkschaftsvertreter auf den Zuschauerbänken des Saals 115 im Leipziger Gerichtsgebäude ihre Freude kaum zügeln. Von einer »großen Niederlage für Innenminister Klaus Hardraht und die regierende CDU« sprach der sächsische ÖTV-Chef Wolfgang Anschütz nach der Urteilsverkündung. Das sächsische Verfassungsgericht hat weite Teile einer von Hardraht 1998 durchgesetzten Novelle des Personalver tretungsgesetzes für nicht mit der Verfassung des Freistaats vereinbar erklärt. Die Landesregierung zieht damit - nach Niederlagen etwa bei Polizei- und Mediengesetz sowie dem Gesetz zur Abbaggerung eines Dorfes - ein weiteres Mal nach Klage der Opposition vor dem Verfassungsgericht den Kürzeren.

Als »Demokratie auf niedrigstem Niveau« hatten die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes schon vor drei Jahren die Auswirkungen der Novelle bezeichnet. Von einem Gutachten der Landtagsjuristen bestätigt, hegten die Oppositionspar teien SPD und PDS den Verdacht, dass dieses niedrigst mögliche Niveau sogar noch unterschritten wird. Sie strengten eine Normenkontrollklage an. Beide Parteien beriefen sich dabei auf Paragraph 26 der Landesverfassung, in der ein Recht auf Mitbestimmung garantiert ist. Mit diesem Verfassungsgrundsatz sind mehrere Punkte des CDU-Gesetzes nicht konform.

Vor allem für die Lehrer im Freistaat hat das Urteil Auswirkungen. Seit der Änderung des Gesetzes gab es für die 40000 Lehrer, die über 2400 Schulen im Land verteilt arbeiten, nur noch fünf Personalräte bei den Regionalschulämtern. Diese Regelung sei schon deshalb verfassungswidrig, weil sie zu einer »Zentralisierung der Verwaltungsstruktur« führt, urteilten die Richter. Dies laufe dem Ziel einer »effektiven, insbesondere orts- und sachnahen Wahrnehmung der Beschäftigteninteressen« in wesentlichen Bereichen zuwider. Dem Gesetzgeber wurde bis zum 31. Dezember 2002 Zeit gegeben, eine neue Regelung zu finden. Bis dahin bleiben die derzeitigen Strukturen bestehen, um eine noch weiter gehende Verschlechterung zu verhindern. Sabine Gerold, Chefin der sächsischen Gewerkschaft GEW strich heraus, »dass diese Rückkehr zu mehr Mitbestimmung angesichts der Rolle der Schulen für die Demokratieerziehung beispielgebend sei«.

Auch die Einigungsstellen, eine Art Schiedsgericht zwischen Arbeitgebern und Personalräten, werden wieder gestärkt. Nach dem Willen der CDU hatten diese bei wesentlichen dienstlichen Belangen, etwa der Einführung von technischen Überwachungseinrichtungen für die Beschäftigten, nur noch Empfehlungen aussprechen sollen. Durch solche Maßnahmen werden aber die Interessen der Mitarbeiter »in einer Weise berührt, die ein qualifiziertes Mitbestimmungsrecht des Personalrats erforderlich macht«, urteilten die Richter.

Nicht durchsetzen konnten sich die Kläger in der Frage der Personalvertretung für Professoren, für einige Mitarbeiter gruppen und studentische Hilfskräfte an den Hochschulen. Sie seien nicht so weit in die dienstlichen Abläufe integriert, dass eine Interessenvertretung zwingend notwendig sei. Dozenten an der Berufsakademie Sachsen, die stärker weisungsgebunden sind als Professoren, dürfen dagegen künftig einen Personalrat wählen.

Über einen »Zwei-Drittel-Sieg« freute sich PDS-Innenpolitiker Michael Friedrich. Es sei richtig gewesen, gegen die »obrigkeitsstaatliche Novellierung« vor Gericht zu ziehen. Die PDS wolle baldmöglichst einen Gesetzentwurf einbringen. SPD-Fraktionschef Thomas Jurk sagte, nach der rechtlichen Klärung müsse nun der Landtag die politischen Bedingungen für mehr Mitbestimmung im öffentlichen Dienst erneut erörtern. Damit sollte nicht zwingend bis zum Ende der von den Richtern gesetzten Frist gewartet werden.

Nach Ansicht des Rechtswissenschaftlers Alfred Rinken, der die Kläger vertrat, wird das Urteil bundesweit für Aufmerk samkeit sorgen. Die sächsischen Richter seien in einigen Punkten konkreter geworden als die Richter des Bundesverfassungsgerichts, die vor einigen Jahren über das schleswig-holsteinische Personalver tretungsgesetz befanden. DGB-Sprecher Markus Schlimmbach sagte, das Urteil mache »Mut für die Debatten um das Betriebsverfassungsgesetz«.

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