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Aufruhr gegen «Transmigranten»

In Kalimantan geht es um Land und Arbeitsplätze Indonesien Von Jochen Reinert

  • Lesedauer: 3 Min.

Schwerpunkt der blutigen Unruhen, die bis gestern über 100 Menschen das Leben kosteten, ist die Stadt Sampit im Zentrum der Provinz Zentral- Kalimantan, einer der vier indonesischen Verwaltungseinheiten auf der drittgrößten Insel der Erde. Insgesamt gehören 72 Prozent der 746 951 km2 umfassenden Insel zum indonesischen Staatsverband.

Nach Angaben eines Sprechers der lokalen Behörden ziehen marodierende Gruppen durch die Straßen von Sampit - angeblich haben zwei entlassene Verwaltungsbeamte den Aufruhr angezettelt. Mindestens 15 000 Menschen seien auf der Flucht. Polizei und Armee haben unterdessen zusätzliche Truppen nach Kalimatan geschickt.

Die meisten Toten sind nach Angaben der Behörden Zuwariderer von der Insel Madura. Madura und der Ostteil von Java, wo die Maduresen als eine der größten Bevölkerungsgruppen Indonesiens leben (etwa 7,5 Prozent von 220 Millionen), gelten als übervölkert. Im Zuge des so genannten Transmigrationsprogramms der Suharto-Diktatur wurden zehntausende Maduresen in die dünnbesiedelten Gebiete von Kalimantan umgesiedelt, wo sie auf das Urvolk der Dayak trafen. Die Transmigranten nahmen in der Regel keine Rücksicht auf die Gewohnheitsrechte und Lebensweise der Dayaks. Ohnehin wird die Urbevölkerung von Kalimantan und Westpapua - so Hok An, Sprecher der Initiative für die Menschenrechte aller Bürgerinnen der ASEAN-Staaten (IMBAS) in einem Interview - von der Mehrheitsbevölkerung als «primitiv und steinzeitlich, im Grunde als Schande der Nation» betrachtet. Bereits 1995, so die letzten verfügbaren Zahlen, waren weit über 10 Prozent der 10 Millionen Kalimantaner «offizielle» Transmigranten, nicht gerechnet die vielen spontanen Siedler.

Die rigorose Ausbeutung der außeror dentlich reichen Naturressourcen Borneos - von der Erdölförderung über Diamanten- und Goldgewinnung bis zum ausgedehnten Edelholzeinschlag - führte zu einer stetigen Verdrängung und sozialen Deklassierung der Dayaks. Die daraus resultierenden Spannungen entluden sich zum ersten Mal im Januar 1997 als Da-

›- INDISCHER OZEAN

yaks in Westkalimantan hunderte Häuser von Maduresen niederbrannten und Hunderte von ihnen töteten. Auch im März 1999 kam es zu Unruhen, bei denen 200 Menschen starben und erneut Tausende vertrieben wurden.

Als Folge der gegenwärtigen wirtschaftlichen und sozialen Krise haben jene Spannungen stark zugenommen und die Dayaks betrachten die Maduresen mehr denn je als Bedrohung ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Existenz, ur teilt Monika Schlicher von der Menschenrechtsorgansiation Watch Indonesia!. Die erschreckende Gewaltspirale von Provokation, Brandschatzung und Vertreibung lasse auf einen «Zusammenbruch des Herrschafts- und Wertesystems» schließen. Das Vertrauen in die politischen Institutionen in Jakarta sei auf einen Tiefpunkt gesunken, die neue Autonomieregelung weitgehend unklar, und das Militär lehne sich zurück, «um sich dann angesichts des Versagens der Politik als Ordnungsfaktor rufen zu lassen».

Vor allem eine Verbesserung der Lebensbedingungen der sozial schwachen Dayaks und Migranten, gepaart mit einer sinnvollen Dezentralisierung hält Schlicher für einen möglichen Lösungsweg aus der Krise. Doch derzeit seien entsprechende Initiativen aus Jakarta, wo sich der Präsident Korruptionsvorwürfe er wehren muss, kaum zu erwarten.

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