nd-aktuell.de / 23.02.2001 / Politik / Seite 13

«Ich hoffe, daß ich dir alles anvertrauen kann...»

Von Ingrid Feix

Das Haus in der Amsterdamer Prinsengracht beherbergt die Anne Frank Gedenkstätte, die auch einen nachhaltig sinnlichen Zugang zu der Geschichte ermöglicht. Sie zu besuchen, hat nun auch jeder die Gelegenheit, der lediglich über den Zugang zu einem Computer verfügt. Die CD-Rom «Anne Frank Haus - Ein Haus mit einer Geschichte» bietet einen Rundgang durch das rekonstruierte Haus an, speichert mehr als 1000 historische Fotos, auch die aus dem Familienalbum der Franks, Videoclips, darunter die einzige Filmaufnahme von Anne Frank, über 300 Bildvorträge und fast vier Stunden gesprochenen Text, Toneffekte und Musik.

Die angebotene Fülle ist dabei mehr als nur ein Wissensspeicher. Als Hitler 1933 an die Macht kam, entschlossen sich die Eltern der 1929 geborenen Anne Frank, ihre Heimat Frankfurt am Main zu verlassen. In Amsterdam gründete ihr Vater Otto Frank eine Geliermittelfirma. Doch auch hier blieb die jüdische Familie nicht vom Antisemitismus verschont.

Im Mai 1940 schließlich besetzten die Deutschen auch die Niederlande. Zu ihrem 13. Geburtstag, am 12. Juni 1942, bekam Anne ein Tagebuch geschenkt, in dem sie sogleich notiert: «Ich hoffe, dass ich dir alles anvertrauen kann, wie ich es bisher noch niemals konnte, und ich hoffe, dass du mir eine große Stütze sein wirst.» Einige Zeit später erhielt ihre ältere Schwester Margot die Aufforderung, sich in einem «Arbeitslager» zu melden. Das war das Zeichen für die Familie, möglichst schnell unterzutauchen.

Das Haus in der Prinsengracht 263, Wohn- und Fabrikhaus in einem, bot in seiner Unübersichtlichkeit der vierköpfigen Familie sowie vier weiteren Juden ein Versteck, von dem nur wenige Freunde und Mitarbeiter der Franks wussten. Zwei Jahre lebten hier die acht Personen auf engstem Raum. Über jedes Detail der Lebensumstände, über die Sorgen, Ängste und Freuden in dieser Zeit ist in Anne Tagebuch festgehalten.

Am 1. August 1944 bricht es ab, denn vier Tage darauf wurden alle verhaftet und in verschiedene Konzentrations- und Vernichtungslager gebracht. Wie sie ver raten wurden, ist nie geklärt worden. Anne Frank und ihre Schwester Margot star ben im März 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Nur Otto Frank überlebte den Holocaust. Seine enge Mitarbeiterin Miep Gies, die die Familie in den zwei Jahren im Versteck auch versorgt hatte, fand Annes Tagebuch nach der Verhaftung und brachte es in Sicherheit.

So ist das Dokument einer unglaublicher und erschütternden Geschichte des jüdischen Mädchens Anne Frank erhalten. Sie ist inzwischen Schulstoff und droht als Routinebeispiel in den Lehrbüchern zu erstarren. Zu oft gehört, immer weniger dabei empfunden. Dem Betrachter der CD-Rom ist es selbst überlassen, was er sich anschauen will, er bestimmt den Weg in dreidimensionaler Optik individuell. Er kann wählen, welchen der Räume er betreten möchte, ob er zusätzliche Informationen zu den gezeigten Gegenständen erhalten, den Tagesablauf der Versteckten nachvollziehen, Annes entsprechenden Tagebuoheintrag nachlesen oder Näheres über die Zeitereignisse oder die Leute in der Umgebung erfahren will.

Die vorgefundenen Gegenstände kann man sich erklären lassen, zum Beispiel im Produktionsraum der Firma. An Hand der Utensilien in dem Räumen des Verstecks wird über ihren Gebrauch in dieser Zeit erzählt. Wenn man sich in dem Zimmer umsieht, in dem sich Anne versteckt hielt, kann man zum Beispiel auch die Bilder an der Wand anklicken und erfährt, wer darauf zu sehen ist. Man erfährt von Annes Vorliebe für bestimmte Schauspieler, für Prinzessinnen und Geschichten aus Adelshäusern, ihre Überlegungen zur Mode und anderen Dingen.

Anne, ihre Familie und die anderen Personen im Versteck werden, ohne anwesend zu sein, mit ihren Eigenheiten genau und auf besondere Weise aus den Beschreibungen des Tagebuchs lebendig. Der virtuelle Besuch bietet nicht nur eine anschauliche und erschütternde Reise in die Vergangenheit, in die Welt Anne Franks, in die Zeit der Judenverfolgung, sondern schafft ganz unspektakulär auch einen emotionalen Zugang zur Problematik, führt die Absurdität eines Verbrechens vor Augen, das nicht vergessen werden darf, wie die Gegenwart immer wieder zeigt.

«Anne Frank Haus - Ein Haus mit einer Geschichte». CD-Rom für PC und Mac 69,95 DM, zusammen mit dem Buch «Anne Frank Tagebuch» 79,95 DM, zu beziehen über Anne Frank Zentrum, Oranienburger Str. 26, 10117 Berlin, Tel. 30872988, Fax 30872989 e-mail: AnneFrankZentrum@annefrank.de