nd-aktuell.de / 23.02.2001 / Politik / Seite 15

Blaue Flecken sind zu vernachlässigen

Von Uwe Kalbe

Drohungen mit dem Untersuchungsausschuss des Bundestages, Rück trittsaufforderungen, Ermittlungen der Staatsanwaltschaft - das Damoklesschwert einer bisher angeblich verborgenen Vergangenheit schwebt bedrohlich über Bundesaußenminister Joschka Fischer. Einer kriminellen, linksradikalen? So viel steht fest: keiner verborgenen.

Die vorerst letzte Fischer-Biografie ist die im Sommer 2000 erschienene von Michael Schwelien »Joschka Fischer - eine Karriere«. »Ich war nie ein Pazifist«, zitiert Schwelien Fischer aus dem Jahr 1999 der seine Haltung zum Kosovo- Krieg verteidigt. Und sieht darin das Resümee einer früheren Feststellung Fischers, dass nämlich der »Straßenkampf« ihn für die »politischen Grabenkämpfe« gestählt habe.

Schon Biografen vor Schwelien haben Fischer als ehrgeizigen bis geltungssüchtigen, rücksichtslosen bis gewalttätigen, zugleich anpassungsfähigen und ausdauernden Menschen geschildert, dessen Charisma alle vermeintlichen Schwächen auf wundersame Weise in Erfolg zu ver wandeln scheint. Joseph Martin Parsifal Fischer ist noch wandlungsfähiger als sein Name ahnen lässt. Und die Biografin Sibylle Krause-Burger gerät beinahe ins Schwärmen, wenn sie in ihm den Stoff für einen »klassischen Entwicklungsroman« erkennt, seine Wandlung vom Aussteiger zum staatstragenden Zeitgenossen bewundert. Kein anderer Abgeordneter habe »so viele Welten überwunden, so viele neue für sich entdeckt«. Da urteilt »Zeit«- Reporter Schwelien nüchterner‹ Was an Fischer so verwirrend wechselhaft wirkt, erweist sich bei genauerem Hinsehen als verblüffend konsequent. Fischers Eigenart ist nicht der Ausstieg, sondern dessen »Gestaltung«. Für Schwelien ist Fischers Lebensweg typisch für seine Generation im Westen Deutschlands. Vom Ausreißer, der das Gymnasium schmeißt, bis zum Turnschuhminister wird Fischer getragen vom Aufruhr seiner Zeit und den eigenen Ambitionen, dem Ehrgeiz, nicht in der zweiten Reihe zu stehen. Auch Krause- Burger scheinen Fischers »Jugendsünden« folgerichtig. In den fünfziger Jahren wäre Fischer »vielleicht am Gottlieb- Daimler-Gymnasium abgesackt, er hätte sich kaum zum Berufsrevolutionär entwickelt ... Doch wer am Ende der sechziger Jahre jung war und ins Schlingern kam, den nahm der Zeitgeist liebevoll in seine Arme, der durfte sich im Nichtstun, im Scheitern, in der Verweigerung, in der Existenz als Außenseiter bestätigt fühlen.«

Fischers Neigung zur Militanz, gepaart mit Schläue und rhetorischer Begabung erzeugten ein explosives Gemisch von er heblicher Durchsetzungskraft. »Genauso wie Fischer seine rhetorische Begabung nicht bloß dazu benutzte, dem Klassenfeind die Maske vom Gesicht zu reißen, sondern auch um Genossen, die ihm ar gumentativ nicht gewachsen waren, mit >Killerinstinkt<... vor versammelter Spontiöffentlichkeit niederzumachen, genauso wenig setzte er seine Fäuste lediglich zum Verprügeln von Vertretern der Staatsmacht ein. Auch hier machte er vor den eigenen Leuten nicht halt«, schreibt Christian Schmidt in seiner Fischer-Biografie »Wir sind die Wahnsinnigen«.

Ob der spätere Außenminister der Bundesrepublik damals in seiner Wohngemeinschaft mit Margrit Schiller gefrühstückt hat, ist ebenso von Belang wie die Tatsache, dass in seiner den Straßenkampf übenden »Putzgruppe« der später als Terrorist geltende Hans-Joachim Klein mitkeuchte. Die Grauzonen zwischen Berührungen mit den Leuten des »bewaffneten Widerstands« und Beteiligung an deren Aktionen sind von der Staatsanwaltschaft bereits mehrfach ausgeleuchtet worden, ohne Ergebnis. Sicher ist, dass Fischer und seine »Gang« (Schmidt) die Abkehr von deren Methoden vollzogen.

Leute in Fischers Umgebung mussten zuweilen geradezu Charakter aufbringen, dem Sog der »Genossen im Untergrund« zu entgehen. Schwelien zitiert Fischer: »Sie wollten unsere Leute wegködern.« Und erklärt: »Das konnte so aussehen: Einer von der RAF ging plötzlich neben einem Putzgrüppler ... Plötzlich aber zog er eine Waffe. Die Absicht war, eine Schießerei mit Polizisten zu beginnen - und somit dem ihrer Meinung nach noch nicht ganz Entschlossenen den Weg zurück in die Legalität abzuschneiden.«

Dass die CDU inzwischen aufgegeben hat, Fischer mit der Ermordung des hessischen Wirtschaftsministers Herbert Karry in Verbindung zu bringen und stattdessen seine Teilnahme an einer PLO-Solidaritätskonferenz als »Belastungsmaterial« ansieht, zeigt ihre Ohnmacht. Und der Kommentar der prominenten Grünen Antje Vollmer, Fischer habe aus Unreife und unter heutiger Sicht einen Fehler begangen, lässt höchstens darauf schließen, wie zahnlos die Weltverbesserer der Grünen geworden sind. Fischer -war nie ein Pazifist, nie ein Frauenrechtler, nie wahrer Basisdemokrat, nie Vorkämpfer in Umweltfragen, vermutlich ist Fischer nicht einmal ein richtiger Grüner. Für Schwelien geben die Grünen nur noch Fischers Staffage ab, »eine weitere Parallele zu Verhältnissen in Amerika, wo sich die Parteien damit begnügen müssen«. Für Schwelien ist Fischer Experte der öffentlichen Selbstinzenierung, kurz: Prototyp des amerikanischen Politikers in Deutschland. Fischers wandlungsfähiger Körper drücke die »Fähigkeit zum dynamischen Wandel aus, die Bereitschaft, sich selbst radikal in Frage zu stellen. Und es alle Welt wissen zu lassen«. Dies ist sicher gut beobachtet. Fischer ist auch Medienprodukt. Doch seinen Weg säumen viele reale Menschen mit realen Enttäuschungen und inzwischen, nach dem Krieg in Jugoslawien, sogar Leichen. Die blauen Flecken eines Polizisten sind darob zu vernachlässigen.

Sibylle Krause-Burger- Joschka Fischer. Der Marsch durch die Illusionen. DVA, Stuttgart 1997 255S., geb., 39,80DM. Christian Schmidt. Wir sind die Wahnsinnigen. Joschka Fischer und seine Frank furter Gang. Econ Verlag, München 1998. 318 S., geb.. 38,80DM. Michael Schwelien: Joschka Fischer. Eine Karriere, Hoffmann und Campe, Hamburg 2000, 314 S., geb., 39,90DM.