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Malglocke kontra Jugendweihe?

Problematische antikirchliche Tradition Günter Nooke

  • Lesedauer: 4 Min.

Der Verein maiglocke möchte konfessionslose Jugendliche und Eltern ansprechen. Er wird getragen von Christen und Menschen mit christlicher Orientierung. Er ist überparteilich und arbeitet unabhängig von den Kir chen. In einer für die Mitglieder verbindlichen Erklärung ist aller dings festgeschrieben, dass der Verein an einem kooperativen, guten Verhältnis zu den Kirchen und den christlichen Gemeinden vor Ort interessiert ist. Damit wird deutlich, wo die Orientierungen herkommen, die während der Vorbereitungskurse und mit dem abschließenden Maiglockenfest vermittelt werden sollen.

Warum wurde solch ein Verein überhaupt gegründet? Zu den wirksamsten Hinterlassenschaften der SED-Diktatur gehört die weitgehende Entkirchlichung in den neuen Bundesländern. Nur etwa ein Fünftel der Bevölkerung gehört noch einer christlichen Kir ehe an. Die antireligiöse und antikirchliche Propaganda der SED war aber weniger erfolgreich, als vermutet wird. Unter den Menschen, die keiner Kirche angehören, sympathisieren auch heute viele mit der christlichen Tradition und der Kirchengemeinde vor Ort, ohne selbst Mitglieder zu werden. Solche Sympathisanten haben auch zu DDR-Zeiten für die Er haltung des örtlichen Kirchengebäudes oder für die diakonische Arbeit der Kirche gespendet und sich zum Teil sogar selbst enga- Präsident des Vereins maiglocke e. v., CDU-Bundestagsabgeordneter

Foto: Andreas Schoelzel

giert. Viele haben den Gottesdienst zu Heiligabend besucht. Der Propaganda, dass die Kirche eine gefährliche und schädliche Institution sei, widersprach den Erfahrungen auch in der DDR.

Wir wollen die Menschen ansprechen, die eine Haltung der wohlwollenden Distanz zur Kirche haben und sich positiv an die mo-

Die Jugendweihe in der DDR, wo sie Anfang der fünfziger Jahre vom SED-Staat eingeführt wurde, enthielt ein Gelöbnis auf den sozialistischen Stadt, war also mit dieser abgeforderten Loyalitätsbekundung Teil des Repressionsapparates.

derierende Rolle der Kirchen in der Herbstrevolution 1989 die die Revolution friedlich blieben ließ, erinnern.

Der Verein maiglocke e.V ist auch auf Grund dieses Bezuges etwas anderes als die Jugendweiheveranstalter. Ich weiß, dass heute von vielen Mitarbeitern und Helfern bei der Vorbereitung und Durchführung der Jugendfeiern viel Engagement für die Jugendlichen aufgebracht wird und so mancher auch froh ist, den ideologischen Ballast vergangener Zeiten über Bord werfen zu können. Dennoch sind für die Jugendweihe zwei Traditionslinien entscheidend: Zum einen der Ansatz des »weltlichen Atheismus« aus dem 19 Jahrhundert, auf den sich heute viele gern berufen, die ihn zu DDR-Zeiten kaum kannten. Damals wurden diese »Weihen« eingeführt, um gegen die Kirche und das Christentum als angeblich aufgeklärte Atheisten zu Felde zu ziehen. Zum anderen gab es die Jugendweihe in der DDR, wo sie Anfang der fünfziger Jahre vom SED-Staat eingeführt wurde. Sie enthielt ein Gelöbnis auf den sozialistischen Stadt, war also mit dieser abgeforderten Loyalitätsbekundung Teil des Repressionsapparates.

Beide Traditionen, die antikirchliche und die sozialistische sind für Christen und christlich orientierte Demokraten problematisch. Wer einmal, den Anfor derungen des SED-Staates gehör chend, die Auseinandersetzung um die möglichst vollzählige Teilnahme der achten Klassen an der Jugendweihe auf dem Rücken und in den Köpfen der 14-Jährigen ausgetragen hat, ist nicht per se auch heute die richtige Adresse für solch eine Jugendfeier.

Da auch viele Eltern so denken, aber dennoch für ihre Kinder nach einer Feier fragen,.die diese Tradition fortsetzt, einfach schön sein soll und den Jugendlichen Orientierung für ihr Leben vermittelt, gibt es also guten Grund, dem sozialistischen und antichristlichen Angebot ein unserer Situation in den neuen Bundesländern heute angemessenes entgegenzusetzen. Dabei wird nicht an getaufte Christen gedacht; sie sollten auch weiterhin zur Konfirmation und Firmung gehen. Für die anderen Jugendlichen allerdings, immer hin die restlichen vier Fünftel eines Jahrganges, sollte der Jugendweihe eine Alternative gegenübergestellt werden.

Auch ein demokratischer und freiheitlicher Rechtsstaat lebt von Grundlagen, die er selbst nicht schaffen kann. Unser Grundgesetz spricht in der Präambel von Gott; im ersten Artikel von der Würde des Menschen, und alle Grundrechte, die dann folgen, gehen von der Freiheit des Menschen aus. Daraus folgt zwingend die Ver antwortung des Menschen. Für Christen gibt es dabei zwei Adressaten: Verantwortung vor Gott als einer höheren Instanz und Ver antwortung für die Mitmenschen und die gesamte Schöpfung.

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