nd-aktuell.de / 11.11.2013 / Kultur / Seite 16

Es ist nicht zu begreifen

Uraufführung in der Box des Deutschen Theaters: »Leerlauf« von Rik van den Bos

Volker Trauth

Es ist eine Geschichte von der Vergeblichkeit - von der Vergeblichkeit, Erlösung zu finden durch Erinnern. Protagonisten sind der junge Soldat Birke, der verwundet und demoralisiert aus dem NATO-Wüstenkrieg heimkehrt und zu Hause nicht mehr in den Alltag zurückfindet, sowie Bouwman, der Vater von Birkes gefallenem Kriegskameraden Patrick. Bouwman ringt verzweifelt um Aufklärung des Todes seines Sohnes und fordert Birke auf, ihn an die Stelle des Anschlags zu begleiten, dem Patrick zum Opfer gefallen ist. Zum Schluss gibt er - am Ende seiner seelischen Kraft - diese Absicht auf und will nur noch dem jungen Birke helfen, seine persönliche Krise zu überwinden.

Dieses von verhängnisvollen Ausnahmesituationen geprägte Stück fordert die Schauspieler heraus. Thorsten Hierse als Birke und Jörg Pose als Bouwman sind diesen Herausforderungen in unterschiedlichem Maße gewachsen. Birke sucht nach dem grellen Ausdruck, um das Zerbrechen der Figur ins Bild zu zwingen. Er zermartert sich den Kopf, hört immer wieder den todbringenden Knall in seinen Ohren, reißt sich die Brust auf, schreit seine Wut auf die Gleichgültigen heraus, verhöhnt die Zeitgenossen, die nichts von der Hölle begriffen haben, der er - als seelischer und körperlicher Krüppel - entkommen konnte.

Ihm fehlt aber das Gespür für die Ökonomie und die Differenziertheit der Mittel. Irgendwann drehen seine Ausbrüche durch, es gibt keine Steigerungsmöglichkeiten mehr. Im Dauerausbruch gehen wichtige Sätze regelrecht unter. Zu selten sind Momente von Nachdenklichkeit, von beginnendem Begreifen. Solch seltene Momente hat er, wenn er scheinbar ungerührt vom Weggang der Freundin erzählt, wenn er unsentimental von Ed berichtet, der ihm als einziger verlässlicher Freund verblieben ist, oder sich, von Entsetzen gelähmt, stockend an das Unglück erinnert, dem Patrick zum Opfer gefallen ist. Wenn er dann in der Rückerinnerung im jähen Bruch seinen Freund schreiend vor der Gefahr warnen will, da findet seine Darstellung das notwendige innere Spannungsverhältnis, an der es über weite Strecken fehlt.

Viel reicher in seinen Mitteln ist Jörg Pose als Patricks Vater Bouwman. Er vermag die verzweifelte Suche nach dem Sohn und nach den eigenen Versäumnissen bei dessen Erziehung unangestrengt und ohne darstellerischen Überdruck kenntlich zu machen. Er spielt weniger den Ausbruch als den Kampf gegen den Ausbruch, das Bemühen um Haltung.

Wenn er über die Geschichte der Kriege nachdenkt, entlarvt er mit bitterem Hohn die Verschleierung der wahren Kriegsgründe, im Blick auf die Situation, in der ihm die Todesnachricht überbracht wurde, fällt ihm, staunend über sich selbst, deren banale Absurdität auf. Und am Schluss ist da nur noch Resignation - darüber, dass er seinen Sohn nie begreifen wird, weil er »es nicht erlebt hat«.

Im Zusammenspiel mit seinem erfahrenen Kollegen gewinnt auch Thorsten Hierse an gestischer Genauigkeit. Der Forderung Bouwmans nach Begleitung zum Unglücksort widersetzt er sich mit mannhafter Bestimmtheit und allmählich kommt er dem älteren Mann näher. Eine sehr schöne, weil wohltuend sparsame Szene, wenn zum Ende hin beide nebeneinander und doch meilenweit voneinander entfernt an der Rampe sitzen und jeder für sich seinen Gedanken nachhängt.

Regisseur Marvin Simon hat mit einigen, nicht immer schlüssigen szenischen Hinzuerfindungen versucht, den Darstellern Spielmaterial zu geben. Die wackligen Bodenbretter, unter denen der Sand hervordringt, reißt Birke auf, um das gewaltsame Eindringen der Soldaten in die Häuser der Bauern zu illustrieren, und an einem riesigen Fallschirm seilt sich Bouwman im vermeintlichen Kriegsgebiet ab. Wenn er sich dann aus den Verstrickungen des Fallschirms herauslöst, gewinnt die nachfolgende Szene mit Birke zwar an Beiläufigkeit, sinnfällig und zwingend im Sinne des Fortgangs der Geschichte wird das jedoch nicht. Eine Kopfgeburt ohne zwingende Logik auch Bouwmans Übergabe seines Fallschirmspringerkostüms an den kriegsmüden Soldaten Birke und dessen vermutliche Rückkehr an die Front.

Weiter am 12., 18., 23.11.