nd-aktuell.de / 11.11.2013 / Politik / Seite 20

Oh mein Gott: Vaterunser unterm Totenschädel!

Grableuchten weisen den Weg in die Kirchenbänke, Nebelschwaden wabern durch den farbig angestrahlten Raum und verschlucken den Pastor fast ganz, ein Totenschädel liegt neben der Bibel auf dem Altar, Metallketten rasseln, die Besucher des Gotteshauses sind schwarz geschminkt und verhüllt, blass gepudert, viele tragen Piercings und auffallende Frisuren. Harte dumpfe Bässe dröhnen durchs Kirchenschiff, wechseln sich mit klassischen Orgelklängen ab, das Vaterunser folgt einem düsteren Video über die Gothic-Szene. Irgendwie gespenstisch!

Doch wenn der Kirche die Schäfchen massenweise weglaufen, muss man sich eben was Neues einfallen lassen. Zumindest in der Dorotheenkirche von Nortrup-Loxten bei Osnabrück ging der Plan am vergangenen Freitagabend auf: Rund 300 Anhänger der Gothic-Szene versammelten sich dort zu einem Gottesdienst der besonderen Art. Eingeladen zu dieser deutschlandweit einmaligen Andacht unter dem Motto »Selbstfindung« hatte der evangelische Pastor Uwe Brand. »Ich würde so gerne wissen, wer ich bin«, sagte er in seiner Predigt. Und fügte düster hinzu: »Wozu auch fröhlich sein, wenn alle meine Erfahrung der Hoffnung widerspricht?«

Das ziemlich schräge Event jedenfalls traf ganz und gar den Geschmack des Publikums. Denn schließlich bedeutet das aus dem Englischen kommende Wort »Gothic« nichts anderes als düster und schaurig. Wieviele Anhänger der als friedlich und unpolitisch geltenden Szene es deutschlandweit gibt, lässt sich nur schwer schätzen. Experten gehen von mehreren Zehntausend aus, deren Alter sich zwischen 14 und 40 Jahren bewegt, der Großteil zwischen 16 und 24. Genau das Alter, das mit Kirche ansonsten nicht so viel am Hut hat. Haleluja, da tun sich Perspektiven auf! nd