In Tacloban drohen Seuchen

3000 Menschen versuchten in der zerstörten philippinischen Stadt die Rollbahn zu stürmen

  • Daniel Kestenholz, Bangkok
  • Lesedauer: 3 Min.
Für die Taifun-Opfer auf den Philippinen werden nach UNO-Schätzungen für erste Nothilfe 225 Millionen Euro benötigt. Die Regierung verstärkte nach Plünderungen die Sicherheitsvorkehrungen.

Ohne Atemschutz, sei es nur ein feuchtes Tuch vor Mund und Nase, ist Tacloban, das Epizentrum der Zerstörungen von Taifun »Haiyan«, noch unerträglicher. Inzwischen haben Männer mit blauen Overalls begonnen, die behelfsmäßig in Decken und Tücher gewickelten Leichen einzusammeln. Noch fünf Tage nach den Zerstörungen durch den Monstersturm liegen Tote herum. Jemand hat eine eingepackte Leiche auf die Sitzbank einer Bushaltestelle gelegt. Andere Tote liegen bunt eingehüllt entlang der Straßen. Fahr- und Motorradfahrer halten sich ein Tuch vor Mund und Nase.

Werden die Leichname nicht eilends eingesammelt, drohen der vom Monstertaifun und einer Flutwelle fast komplett zerstörten Stadt noch Seuchen. Hilfe für die Überlebenden komme zuerst, sagen die Behörden. Es gebe keine Leichensäcke und keinen Strom, um die Toten zu kühlen.

Die offizielle Opferzahl lag am Dienstag bei 1744. Die Vereinten Nationen rechnen mit 10 000 Toten allein in Tacoblan. Die bereits eingesammelten werden in einer notdürftigen Leichenhalle zu identifizieren versucht und anschließend in ein Massengrab gelegt.

Derweil hat aus der Stadt ein großer Exodus eingesetzt. Viele Menschen tragen in einem Koffer oder auf den Schultern, was sie retten konnten, und ziehen zum Flughafen oder nehmen eine der Straßen in die Provinz, um ein Dach über dem Kopf und Essen zu finden. Während das Landesinnere von der Flutwelle verschont blieb, sind die Sturmschäden auf dem Land nicht weniger dramatisch. Neben Häusern und Dörfern wurden riesige Anbauflächen von Reis und Zuckerrohr zerstört. Menschen halten an den Straßen Schilder mit Hilferufen hoch. Viele hungern.

Am dramatischsten indes scheint die Lage am Flughafen von Tacloban. Nach Tagen der Qualen und Ungewissheit versuchten am Dienstag 3000 Menschen die Rollbahn zu stürmen. Sie liefern sich heftige Szenen, um einen Platz an Bord der Maschinen zu erhalten, die von Sonnenaufgang bis Anbruch der Nacht Hilfsgüter ein- und Flüchtlinge ausfliegen. Sicherheitskräfte umstellten die im strömendem Regen ausharrende Menge. Die Polizei hatte dazu alle Hände voll zu tun mit der Durchsetzung der nächtlichen Ausgangssperre und Straßenkontrollen, um gegen Banden und Plünderer vorzugehen.

Unter den Flüchtlingen beim Flughafen sind Mütter, die Babys in die Höhe halten - in der Hoffnung, vorgelassen werden. Kranke wollen ausreisen, denen die Medikamente ausgegangen sind, und Menschen, die ihre Familien verloren haben und bei Verwandten irgendwo im Rest des Landes unterkommen wollen.

US-Marines sind bemüht, beim Flughafen mit Stromgeneratoren die für Zivilluftfahrt erforderlichen Funk- und Lichtanlagen instand zu setzen, um die rundum verwüstete Inselprovinz Leyte möglichst schnell wieder an die Außenwelt anzuschließen. Die Hilfswelle rollt langsam an, doch erschwerte am Dienstag ein neues Sturmtief die Hilfsbemühungen. Ausläufer streiften die von »Haiyan« am schwersten betroffene Inselprovinz Leyte südlich.

In improvisierten Feldlazaretten werden Verletzte versorgt. C-130 Hercules-Transporter bringen Seife, Windeln, Medizin und Wassertanks nach Tacloban - alles, was seit »Haiyans« Zerstörungen Luxus ist. Da das Straßennetz flächendeckend havariert ist, verteilen Hubschrauber Hilfsgüter in unzugänglichen Gebieten.

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