Kiloweise Rosenblüten

Cricket-Ikone Sachin Tendulkar bestreitet sein letztes Spiel - Indien liegt ihm zu Füßen

  • Hilmar König, Delhi
  • Lesedauer: 3 Min.
In Indien ist Cricket eine Religion. Der »Cricketgott«, Sachin Tendulkar, beendet in dieser Woche seine Karriere. Er ist eine sportliche Ausnahmeerscheinung und nationale Integrationsfigur zugleich.

Obwohl der indische Schachweltmeister Viswanathan Anand im heimischen Chennai gegenwärtig seinen Titel gegen den norwegischen Herausforderer Magnus Carlsen verteidigt, beherrscht ein anderer Sportler die Schlagzeilen in den Medien: Sachin Tendulkar, der 40 Jahre alte Cricketstar. Er beendet mit seinem 200. Testmatch gegen die Karibikauswahl der Westindies in dieser Woche seine illustre, 24 Jahre währende Karriere.

Sie himmeln ihn als »Cricketgott« an, weil Cricket nach Auffassung vieler Inder kein Sport ist, sondern eine Lebensweise, ja eine Religion. Seit Monaten rühren die Medien die Trommeln für den »besten Batsman seiner Generation«. Serien von »Farewell Sachin«-Artikeln füllen die Zeitungen. Alles was im indischen Cricket Rang und Namen hat, schildert persönliche Erlebnisse und Eindrücke von dem berühmten Kollegen. Auf den Sportkanälen im Fernsehen gibt es von früh bis abends nur ein Thema »Sachiiin Sachin«. Die Vergleiche nehmen kein Ende. Seine Name wird in einem Atemzug mit Pelé, Muhammad Ali, Tiger Woods, Roger Federer, Michael Jordan und vielen anderen Sportgrößen genannt. Riesenposter in kitschigen Bollywoodfarben überschwemmen seine Heimatstadt Mumbai, wo sein letztes internationales Testmatch am Donnerstag beginnt. In Kolkata, wo er sein vorletztes Spiel machte, regnete es 199 Kilo Rosenblüten auf ihn herab. Wachsstatuen, Briefmarken, Goldmünzen - Sachin ist überall. Indien liegt ihm zu Füßen.

Der »Master Blaster« - den Spitznamen gab man ihm wegen seiner gefürchteten explosiven und aggressiven Abschläge - ist tatsächlich eine Ausnahmeerscheinung im indischen und internationalen Kricket. Mit 11 Jahren begann er den Schläger (Bat) zu schwingen und mit 15 auf nationaler Ebene zu spielen. Bei seinem Debüt gegen Gujarat lieferte er gleich ein »Century« ab. Das sind 100 Läufe (Runs). Die Leistung könnte man etwa mit einem Hattrick im Fußball vergleichen. Ein Jahr später war er mit 16 bereits in der Nationalelf und durfte gegen Pakistan antreten. Von da an ging die Entwicklung des hochtalentierten und trainingsfleißigen Burschen noch steiler bergauf. Er eilte von Erfolg zu Erfolg - der größte natürlich der Gewinn des Weltcups 2011 im heimischen Wankhede-Stadion in Mumbai. »Das war der stolzeste Augenblick in meinem Leben,« äußerte er dazu.

Seine Statistik ist für Kenner des Spiels unglaublich: Erster Spieler in der Welt, der 100 Centuries in internationalen Testmatches, Spiele der höchsten Kategorie die über mehrere Tage gehen, erreichte; erster Spieler, der in einem ODI (internationales Match, das an nur einem Tag absolviert wird) im Jahr 2010 gegen Südafrika ein Doppel-Century, also 200 Runs, erzielte. Den höchsten Doppel-Century schaffte er in einem Testmatch 2004 in Dhaka gegen Bangladesh mit 248 Runs.

Experten sowie ehemalige und aktuelle Mitspieler schwärmen von Tendulkars Fähigkeit, ein Spiel zu lesen: Zu ahnen, was der Ballwerfer (Bowler) vorhat, welchen Drall er dem Ball geben, ob er scharf direkt oder einen Aufsetzer spielen wird. Sie loben seine ausgefeilte Technik und Übersicht, den Ball nicht nur wuchtig wegzuschlagen, sondern in die Lücken der gegnerischen Formation zu lenken, an die Bande zu spielen (was den Wert von vier Runs hat) oder gar hoch ins Publikum (gleich-bedeutend mit sechs Runs). Sie würdigen seine Schnelligkeit zwischen den Wickets (aus drei Stäben bestehende Male), den unermüdlichen Trainingsfleiß, seine Moral und Disziplin sowie seine detaillierten Vorbereitungen auf besonders trickreiche Gegner.

Dem Idol, das mit einem Vermögen von etwa 160 Millionen Dollar zu den reichsten Indern gehört, eifern Millionen Kinder und Jugendliche auf dem südasiatischen Subkontinent nach. So werden wie er, das ist der Traum. So werden wie er heißt aber auch, den Boden nicht unter den Füßen zu verlieren, bescheiden zu bleiben, Teamgeist zu haben, mit Ratschlägen nicht zu geizen. Das alles hat Sachin Tendulkar zu einem sympathischen, geachteten und geliebten Sportler gemacht. Sein größtes Verdienst liegt jedoch wohl außerhalb der sportlichen Betrachtungen. Er wurde wie kein anderer Inder in den letzten Jahrzehnten zu einer nationalen Integrationsfigur - über alle Religions-, Kasten-, Sprach-, Kultur- und ethnischen Schranken hinweg.

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