Allergie aus dem Metallbaukasten

Bundesamt findet bedenkliche Stoffe in Kinderlebensmitteln und Spielzeug

  • Grit Gernhardt
  • Lesedauer: 3 Min.
Jedes Jahr prüfen Lebensmittelkontrolleure Hunderttausende Betriebe. In vielen stellten sie auch diesmal wieder Mängel fest.

Putenfleisch in der Schweinewurst, Nickel im Spielzeug und bedenkliche Farbstoffe in Speiseeis - das sind nur einige der Ergebnisse der amtlichen Lebensmittelüberwachung für das vergangene Jahr, die das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) am Dienstag in Berlin vorstellte. 881 406 Mal kon- trollierten die Prüfer Betriebe, die Nahrungsmittel herstellen, verpacken oder verkaufen. Da die Prüfabstände je nach Art der Firma unterschiedlich sind, bekamen manche Unternehmen auch mehrfach amtlichen Besuch. Insgesamt wurden 43,3 Prozent der 1,2 Millionen Unternehmen, die der Lebensmittelüberwachung unterliegen, geprüft. Verstöße gab es bei rund einem Viertel der Firmen, besonders an der Hygiene hapert es demnach weiter.

Nicht nur Produktionsstätten werden kontrolliert, das BVL nimmt auch Proben von Lebensmitteln und sogenannten Bedarfsgegenständen mit Lebensmittelkontakt, zu denen neben Geschirr auch Kaffeefilter, Verpackungen oder Backöfen zählen. Von den Nahrungsmittelproben wurden 12,3 Prozent beanstandet. Auch 13,2 Prozent der geprüften Bedarfsgegenstände erfüllten die gesetzlichen Vorgaben bezüglich Kennzeichnung, Hygiene und Schadstoffen nicht.

Die Verbraucher müssten sich jedoch in den meisten Fällen keine Sorgen um die Gesundheit machen, sagte Viola Neuß vom Verbraucherschutzministerium Hessen. In ihrem Bundesland hätten sich von 30 000 im vergangenen Jahr untersuchten Lebensmittelproben unter 100 als gesundheitsschädlich herausgestellt.

Die BVL-Ergebnisse zum Schwerpunkt »Kinder als Konsumenten« sind allerdings kaum geeignet, Eltern von der Sicherheit und gesundheitlichen Unbedenklichkeit hierzulande vertriebener Produkte zu überzeugen: BVL-Präsident Helmut Tschiersky sagte, er halte es beispielsweise für »untragbar und unvermittelbar«, dass aus fast 90 Prozent aller geprüften Metall- und Modellbaukästen Nickel freigesetzt werde. Das Metall ist der häufigste Auslöser für Kontaktallergien, bis zu zehn Prozent aller Kinder sind dagegen sensibilisiert. Das Bundesamt für Risikobewertung empfiehlt deshalb, den Kontakt damit so weit wie möglich zu vermeiden.

Auch lackiertes Holzspielzeug und Buntstifte können gesundheitsschädliche Stoffe absondern: So fand das BVL in 9,1 Prozent der untersuchten Spielzeuge und 20,7 Prozent der Stifte eine erhöhte Weichmacherkonzentration. Sie stehen im Verdacht, Unfruchtbarkeit und verfrühte Pubertät hervorzurufen. Einige sind in Babyartikeln oder Spielzeug verboten, für andere gibt es Grenzwerte.

Wasserlösliche Azofarbstoffe dagegen sind zwar nicht verboten, lösen aber möglicherweise Aufmerksamkeitsstörungen bei Kindern aus. EU-weit müssen Firmen, die solche Stoffe zum Färben von Gummibärchen, Limonaden oder Eis verwenden, seit 2010 den Hinweis »Kann Aktivität und Aufmerksamkeit von Kindern beeinträchtigen« auf ihren Produkten anbringen. Als das BVL Eis, Süß- und Backwaren untersuchte, musste es aber feststellen, dass die Pflicht oft nicht eingehalten wird: Auf 65 Prozent der Backwaren und 64 Prozent der Speiseeisproben, in denen Azofarbstoffe enthalten waren, fehlte der Warnhinweis.

Grundsätzlich kann der Verbraucher nie sicher sein, dass drin ist, was drauf steht: So fand das BVL in rund einem Fünftel der untersuchten »parfümfreien« Körperpflegeprodukten allergene Duftstoffe. Von 858 untersuchten Brühwürsten wiesen zehn Prozent einen Anteil von Puten- oder Hühnerfleisch auf - die entsprechende Kennzeichnung fehlte aber.

Tschiersky pochte deshalb auf die Verantwortung der Hersteller. Diese müssten dafür sorgen, dass Probleme gar nicht erst entstünden. Er appellierte an die Produzenten, die Schadstoffbelastung zu verringern und Kennzeichnungen korrekt anzubringen. Das sei kein Problem fehlender Prüfer. Ganz anders sieht das der Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure: »Nach unseren Berechnungen fehlen um die 1500 Prüfer«, sagte der Präsident Verbandes, Martin Müller. Mehr Kontrolleure könnten mehr Druck aufbauen.

Schärfere Kontrollen, mehr Prüfer und härtere Sanktionen für beanstandete Betriebe forderte am Dienstag auch die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Ein bundesweit verbindliches Modell zur Veröffentlichung der Ergebnisse sei zudem notwendig. Darüber hinaus forderte die NGG den Schutz von Whistleblowern in der Lebensmittelindustrie: Wer helfe, Lebensmittelskandale aufzudecken, dürfe nicht Gefahr laufen, sich selbst zu ruinieren. Das BVL hat auf seiner Homepage ein eigenes System, mit dessen Hilfe Whistleblower anonym Hinweise geben können. Das werde aber noch zu wenig genutzt, so Tschiersky.

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