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Ritter, Rentiere, Schneekanonen

Der Friedrichstadt-Palast leitet mit »berlin ERLEUCHTET« den Winter ein

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer den Ankündigungen des Friedrichstadt-Palasts glaubt, sieht sich aufs angenehmste getäuscht: »berlin ERLEUCHTET«, Premiere Oktober 2011 und damals enorm erfolgreich, wurde jetzt nicht bloß wiederaufgenommen, sondern in etlichen Punkten verändert. Entstanden ist eine Winter-Weihnachts-Show der Sondergüte, wie man sie sich prachtvoller und in sich stimmiger kaum wünschen kann.

Erhalten blieb das Buch des erprobten Teams Jürgen Nass & Roland Welke. Ein Mädchen sehnt Schnee herbei, ist der Winter doch ihre Lieblingszeit. Doch selbst Schneehase Fritz, den als Puppe Bodo Schulte führt, mit Wortwitz und herrlich berlinernd spricht, weiß keinen anderen Rat, als auf Suchreise zu gehen. In dieses Handlungsgerüst, das vom Ballett und neun Choreografen getragen wird, lässt sich Neues gut einmontieren.

Hat sich ein Großteil der Choreografien bewährt, wurde auch da ersetzt. Fast komplett tauschte man die sorgsam eingestreute Artistik aus und fand wieder atemberaubende Darbietungen. Der Niederländerin Amber Schoop steht jetzt mit dem US-Amerikaner David-Michael Johnson ein gleichwertiger Gesangspartner zur Seite. »berlin ERLEUCHTET«: das veritable Best-of einer attraktiven Vorgängerproduktion.

Schneehases spitzfindige Bemerkung, der Winter sei doch Schnee von gestern, tröstet Paula nicht. Und schon nimmt sie uns mit ins Reich ihrer Träume von der weißen Jahreszeit. Möbel fangen da an zu tanzen, der Bücherschrank wird zum Zaubersänger, der zerstiebt und sofort leiblich auftritt. Christbäume schaukeln gemütlich, weibliche Rentiere räkeln sich delikat drapiert, aus dem Boden winken ihnen im Takt Häschen zu.

Traumhaft ist auch, was die Kanadierin Valérie Inertie, orientalisch gewandet, an unglaublichen Tricks im Cyr Wheel vollführt, bis zum Sitz auf dem rasant drehenden Reifen: an Ästhetik nicht zu überbieten. Was den Abend überdies so fantasietrunken sein lässt, sind die opulent gestellten Bilder, in die alle Genres einfließen. So vereinen sich die rumänische Troupe Almas bei ihrer Akrobatik in schwebenden Glaskugeln mit einem getanzten Harlekin-Duett über einen Ball und vor Engeln; auch die Sängerin agiert aus einer Kugel. Die Luft hält man bei der Hebei Acrobatic Troupe aus China an. Während die Untermänner, auf Bällen balancierend, hochragende Masten auf den Schultern tragen, springen ihre kletternden Kollegen in Formation oben mit Salti waghalsig von Stange zu Stange.

Zum Besten, was der Tanz ebenbürtig gegenhält, gehört Aliaksei Uvaraus silberfunkelndes Tambour-Ballett. Aus dem Untergrund fahren die 28 Tänzer zu Marschrhythmen auf, als wollten sie mit militärischen Trommelkaskaden Schnee herbeischlagen. Das lockt die Schneefee an, die in wallendem Kleid und zu Paulas Freude balladesk von seelenwarmer Nacht singt. Doch Schnee wird heute industriell gefertigt: in einer riesigen Maschinerie, die zu den Höhepunkten in Jürgen Schmidt-Andrés großartig mittanzenden Dekorationen zählt.

Maik Damboldts witzige Schneemänner mit Möhrennase enttanzen voll Ironie in die Pause. Seine Idee führt er im zweiten Teil mit der Ankunft im Traumland weiter. Ein Karussell aus Tierfiguren dreht, Menschen laufen auf Stelzen, Ballerinen stakeln, federnd schnellt aus der Schachtel ein Kasper. Und auf einem Gebirge immer höher verkanteter Stühle zeigt todesmutig Vladislav Zolotarev seine Balancen. Derweil Paula ermüdet entschlummert, fasziniert in ihrer düster kühlen Eleganz Tatjana Ostroverkhs Schachsuite, mit rivalisierenden Königen und klackend kugelschleuderndem Fußvolk.

Der großenteils leis winterbesinnliche Abend klingt zu modern instrumentiertem Händel-Jubel mit Alexandra Hipwells pittoreskem Defilee aus, dem riesig geflügelte Engel in der durchgängig hinreißenden Ausstattung des Duos Uta Loher & Conny Lüders festliches Gepräge geben.

Bis 2.2., Friedrichstadt-Palast, Friedrichstr. 107, 10117 Berlin, Tel.: (030) 23 26 23 26, Internet: www.show-palace.eu

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