Schwarze Null und schwarzes Loch

Streit um mutmaßliches Defizit in Leipziger Theater

  • Sven Eichstädt, Leipzig
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach dem Wechsel in der Intendanz des Schauspiels Leipzig in diesem Jahr werden nicht nur die persönlichen und künstlerischen Unterschiede zwischen Sebastian Hartmann und Enrico Lübbe offenbar. Seit vergangener Woche wird öffentlich ein Streit über die Finanzen des Hauses ausgetragen. Ex-Intendant Hartmann soll ein Minus von 400 000 Euro hinterlassen haben.

Als Hartmann vor fünf Jahren in Leipzig die Intendanz des Schauspiels Leipzig übernahm, waren die Erwartungen an ihn groß. Der Theatermann, dem Kritiker bescheinigen, das Publikum zu verstören und Stücke fast völlig neu zu erfinden, sollte für das Leipziger Theater neue Zuschauer gewinnen. Schon vor zwei Jahren kündigte er allerdings an, seinen in diesem Jahr auslaufenden Vertrag nicht verlängern zu wollen. Beide Seiten waren unzufrieden gewesen - Hartmann mit Etatkürzungen durch die Stadt und die Stadt wiederum mit Hartmanns Arbeit.

Sein Nachfolger Enrico Lübbe, der sein Amt in Leipzig im August antrat und zuvor als Intendant dem Schauspiel Chemnitz einen Anstieg der Besucherzahlen beschert hatte, wirft seinem Vorgänger nun vor, ein Minus von mehr als 400 000 Euro im Etat des Leipziger Schauspiels hinterlassen zu haben. Noch im Frühsommer hatte Hartmann im Leipziger Stadtrat erklärt, seine Intendanz »mit einer schwarzen Null oder einem leichten Plus« abzuschließen.

In einer Reaktion, die Hartmann am Dienstag und damit eine Woche nach dem Bekanntwerden des wahrscheinlichen Defizits abgab, verweist der 45-Jährige darauf, zum Ende des vergangenen Jahres einen Überschuss von 30 000 Euro erwirtschaftet zu haben. Für Ende Juli dieses Jahres - dem Ende seiner Intendanz - habe er eine »weitere Ergebnisverbesserung« und einen Überschuss von rund 100 000 Euro angenommen. Mit seiner Einlassung, bei Lübbes Angaben eines Defizits handele es sich um eine »aus der Luft gegriffene Behauptung, die weder belegt noch nachvollziehbar noch richtig« sei, hat die Debatte endgültig die persönliche Ebene zwischen den beiden Künstlern erreicht.

Verschärft wird der Konflikt zwischen Hartmann und dem 38-jährigen Lübbe, der einmal als »bescheiden bis zur Unkenntlichkeit« beschrieben worden ist, durch Hartmanns Äußerungen, er »verwahre sich nachdrücklich gegen die völlig haltlosen Vorwürfe«. Auch klagt er darüber, keine Gelegenheit erhalten zu haben, zu den »offenbar ohne testierte Datengrundlage veröffentlichten Behauptungen Stellung nehmen zu können«.

Die Stadtverwaltung allerdings nimmt Lübbe in Schutz. Sie schätzt es als dessen Pflicht ein, den Ausschuss Kulturstätten des Stadtrats Anfang vergangener Woche in nichtöffentlicher Sitzung über das Defizit informiert zu haben. Dieses sei durch höhere Honorare, Mehrkosten für den Umbau einer Spielstätte für die Abschiedsspielzeit Hartmanns sowie für ein Abschiedsfest des Regisseurs im Schloss Beesenstedt in Sachsen-Anhalt entstanden. Letzteres soll allein etwa 100 000 Euro gekostet haben.

Bis voraussichtlich Mitte kommender Woche will die Leipziger Stadtverwaltung ihre juristische Bewertung durch das Rechtsamt und ihre betriebswirtschaftliche Prüfung abgeschlossen haben. An deren Ende könnte das Ergebnis stehen, dass sich die Stadt in der Pflicht sieht, Regress vom früheren Schauspiel-Intendanten Hartmann zu fordern.

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