In diesem Netz bin ich die Spinne

»Kalte Macht« - ein Kenner des Kanzleramts rechnet in diesem Thriller inkognito mit dem Politbetrieb ab

  • Gabi Oertel
  • Lesedauer: 5 Min.

Unlängst wurde in der Bildzeitung »Das Trio hinter Angela Merkel« vorgestellt. Nachdem die seit Wochen anhaltende Berichterstattung über das mühsame Gerangel zwischen Union und SPD um eine regierungsfähige Koalition in gähnende Langeweile überzugehen droht, war das kein ungeschickter Kunstgriff, um die Leser mit vorgeblichen »Enthüllungen« bei der Stange zu halten. Referentin Beate Baumann und Medienberaterin Eva Christiansen wurden kurzerhand zu »Kanzlerflüsterinnen« - und Regierungssprecher Steffen Seibert zum Mann, der »stets Merkels Ohr« hat. Ganz abgesehen davon, dass das Wortspiel mit dem Hörorgan der Regierungschefin im Zeichen von NSA- und anderen Schnüffeleien von besonderer Finesse ist: Man weiß nicht nur bei »Bild«, dass jedes Detail aus dem Dunstkreis der Kanzlerin mehr Interesse verspricht als das immerwährende Politkauderwelsch ihrer Emissäre.

Der im Juli erschienene Politthriller »Kalte Macht« lebt davon über mehr als 400 Seiten. Ganz am Ende erfährt der Leser, warum die Hauptheldin Natascha Eusterbeck nicht mehr zur Mannschaft um Angela Merkel gehört. Was ihn aber nicht davon abhalten wird, dass er die junge Staatssekretärin im Kanzleramt oder eben eine ihrer Nachfolgerinnen bei diversen Merkel-Auftritten in deren Tross fortan zu erspähen sucht. Denn dass die Kanzlerin Menschen wie diese mehr aufschauende als aufstrebende Nachwuchspolitikerin nicht nur um sich versammelt, sondern ungeniert benutzt und später kurzerhand abserviert, dürfte inzwischen keiner mehr bezweifeln, der sich im Berliner Politbetrieb ein bisschen auskennt.

Nicht nur der geschasste CDU-Umweltminister Norbert Röttgen, sondern auch die Mitglieder des im Sommer 1979 von Politikern der Jungen Union gegründeten Andenpaktes aus »Enkeln« und Möchtegern-Erben von Helmut Kohl - darunter Roland Koch, Christian Wulff, Peter Müller, Friedrich Merz, Günther Oettinger und Franz-Josef Jung - können im wahren Leben ein Lied davon singen. Und wer die zwischen quälendem Abwarten und blitzschnellem Zulangen agierende Kanzlerin in ihrer inzwischen schon gut achtjährigen Regierungszeit teils mit Bewunderung und teils mit Kopfschütteln beobachtet, hält Einschätzungen, dass sie am besten mit Mitarbeitern kann, die keinen Drang zur Selbstdarstellung haben, nicht für schriftstellerische Freiheit, sondern für eine verbürgte Nachricht. Wie auch das ihr im Roman zugeschriebene Zitat »Wenn das hier ein Netz ist, will ich die Spinne sein« nicht die Spur einer romanhaften Überhöhung in sich trägt.

Womit klar sein dürfte, dass unter dem Pseudonym Jan Faber - es heißt, der Klarname ist nicht einmal im Verlag bekannt - ein Autor oder eine Autorin einen Report aus dem inneren Zirkel der Macht abgeliefert hat, der die dort obwaltenden Regeln offensichtlich bis zum Abwinken kennt. Weshalb er aber auch nichts auslässt, um uns ein Bild von Politik als dem Bösen schlechthin zu malen, wo Intrigen, Überwachungen, Drohungen und der Griff zum Aufputschmittel zum Tagesgeschäft gehören. Fest steht, der Autor kennt sich besonders gut im Niedersächsischen und im Bundespresseamt aus, die bisweilen schwierige Lage des Regierungssprechers scheint ihm gegenwärtig. Und der Autor verfolgte offenbar berufsmäßig politische Zusammenhänge seit Jahrzehnten aufmerksam, auch wenn er das Herrhausen-Attentat von 1989 - dessen vermutlich der Wahrheit viel näher kommende Umstände Natascha eher zufällig entdeckt - um einen Monat vorverlegte.

Aber derlei kleine Spielereien, wie auch mit den Namen der Akteure um die namenlose Kanzlerin, waren offenbar als Deckung für den Eingangs-Hinweis gedacht: »Dieses Buch ist ein Roman. Das Beschriebene hat sich so nicht wirklich ereignet. Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen waren aber aufgrund der Natur der Sache nicht immer vermeidbar. Sie sind nicht beabsichtigt, aber von der grundgesetzlich geschützten Freiheit der Kunst umfasst. Oder das nur scherzhafte Verwirrspiel gehört zur verlegerischen Gesamtstrategie, mit einem «Insiderroman» von «Unbekannt» ein besonders heißes Eisen im Umfeld der Bundestagswahl auf den Markt zu werfen. Dabei setzt Random House aber nicht auf den ganz großen Wurf, sondern eher auf Mund-zu-Mund-Propaganda - auch Rezensionen des Buches sind bis dato mitnichten üppig. Dabei sind, abgesehen vom durchaus nicht immer durchgezogenen Thriller-Plot, die Personenbeschreibungen in «Kalte Macht» köstlich wie bestechend.

Da ist der an Krücken gehende Finanzminister Rau, der wahlweise als «Buddha» oder «Kamikaze» gilt, der Altkanzler Brass, den die Kanzlerin einst mit einem Gastbeitrag in der «FAZ» das Fürchten lehrte, Nationalbankchef Jo Feldmann, der seinen 60. im Kanzleramt mit dem ihm eigenen Selbstbewusstsein feiert. Da ist der frühere Fraktionsvorsitzende Mai, der sich bis heute dem transatlantischen Miteinander - auch in einer internationalen Anwaltskanzlei - verpflichtet fühlt. Und vor allem ist da Kanzleramtsminister Steiner, den Autor wie Hauptheldin offenbar nicht nur wegen seiner Ausdünstungen gefressen haben. Ein Parvenü mit Haifischlächeln und eisigem Blick, der das «Borchardt» am Berliner Gendarmenmarkt als «Kantine» bezeichnet - eine Großkotzigkeit, die bekanntlich kein Alleinstellungsmerkmal von CDU-Politikern ist.

Nein, es sind wahrlich keine angenehmen Zeitgenossen, die die Wege Nataschas während ihrer offiziellen Mission (Vorschläge für mehr Effizienz im Kanzleramt) und ihrer inoffiziellen Aufgabe (Informationen über interne Netzwerke für die Kanzlerin) kreuzen. Das allerdings ist den meisten Lesern nicht neu und könnte höchstens deren Voyeurismus bedienen (so die hinter Jan Faber steckende Person sich nicht einfach einmal ihren Frust vom Leibe schreiben wollte). Der explosive Stoff des Romans ist die These, dass für die Ermordung des früheren Deutsche-Bank-Chefs Alfred Herrhausen - und möglicherweise für die anderer namentlich genannter Industrieller - nicht die RAF verantwortlich ist. Stimmt sie, dann stünden der Bundesrepublik allerdings irgendwann wirklich große Skandale ins Haus. Und die Spinne hätte sich in ihrem Netz verfangen.

Jan Faber: «Kalte Macht». Page&Turner (Random House), 443 S., geb. 19,90 €.

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