nd-aktuell.de / 15.11.2013 / Sport / Seite 19

Der DDR-Fußball hat sich’s schwergemacht

Folge 18 der nd-Serie »Ostkurve«: Trainer Eduard Geyer über die verpasste WM 1990 und sein erstes Westgehalt

Eduard Geyer (69) ist einer der erfolgreichsten Fußballtrainer der DDR. Als letzter Nationalcoach des Landes erreichte er acht Siege bei zwei Unentschieden und nur zwei Niederlagen. Die Qualifikation zur WM 1990 verpasste er nur knapp. 1989 führte er außerdem Dynamo Dresden zur Meisterschaft. Nach der Wende trainierte er unter anderem den FC Energie Cottbus. Mit den Lausitzern erreichte er 1997 das DFB-Pokalfinale und stieg im Jahr 2000 in die erste Bundesliga auf. Mit ihm sprach Stephan Fischer.

nd: 1989 waren Sie DDR-Nationaltrainer. Heute vor 24 Jahren stand das entscheidende WM-Qualifikationsspiel in Wien gegen Österreich an. Sechs Tage vorher war die Mauer gefallen. Wie war das damals?
Eduard Geyer: Als Mannschaft bereiteten wir uns schon auf das Spiel vor. Wir saßen in Leipzig und haben plötzlich im Fernsehen gesehen, dass die Mauer offen ist. Keiner hat das richtig verstanden.

Mit einem Unentschieden in Wien wäre die DDR im Sommer 1990 nach Italien zur WM gefahren ...
Die Mauer ist für uns ein paar Wochen zu zeitig gefallen. Ein Remis hätte in Österreich gereicht, aber es sollte nicht sein. Das gesamte Chaos war losgebrochen - mit Spielerberatern aus dem Westen, mit Telefongesprächen der Spieler. Wir hatten damals eine sehr talentierte und verhältnismäßig junge Mannschaft. Wir wollten in Wien unbedingt gewinnen. Aber während des Spiels war ich wahrscheinlich der Einzige, der noch das Spiel gewinnen wollte.

Ein Scout von Bayer Leverkusen hatte sich als Fotograf in den Innenraum geschlichen. Die Spieler waren vor dem Spiel schon abgelenkt?
Jetzt im Nachhinein werden die Geschichten immer auch ein bisschen übertrieben. Aber man achtet als Trainer auf bestimmte Dinge vielleicht nicht ganz so stark und konzentriert sich vor allem auf den sportlichen Rahmen. Der ganze Trubel ging aber schon vor dem Spiel los.

Damals sind 4000 Anhänger sehr kurzfristig mit nach Wien gefahren. Haben Sie die Atmosphäre im Praterstadion anders empfunden als bei vorhergehenden Auswärtsspielen der Nationalmannschaft?
Nein, das war nicht anders als sonst. Wir hatten ja immer ein paar Zuschauer mit dabei, die uns den Rücken gestärkt haben. Ich hatte eher das Gefühl, dass wir ganz klar benachteiligt wurden bei dem Spiel.

Durch den polnischen Schiedsrichter Pjotr Werner?
Sie können mal recherchieren, wo der seitdem geblieben ist. Den Namen habe ich danach nie wieder gehört.

War Ihnen nach dem Spiel schon klar, dass es mit der DDR zu Ende geht, auch mit ihrem Fußball? Dass Sie vermutlich der letzte DDR-Nationaltrainer sein würden?
Wie es genau weitergehen würde, habe ich überhaupt nicht absehen können. Ob es dann zwei Mannschaften geben sollte? Oder zwei Fußballverbände? Das ging dann in der nächsten Zeit ja alles rasend schnell.

Vor allem die Spieler verschwanden rasend schnell in den Westen, wenn man nur an Thom, Kirsten oder Sammer denkt. Warum hatten es aber die DDR-Trainer so schwer, im Westen anerkannt zu werden?
Die DDR hat im internationalen Spitzenfußball keine Rolle gespielt. Der Fußball lief hierzulande so mit und wurde von den Funktionären auch nicht so unterstützt, wie ich mir das gewünscht hätte. Die Leute wollten aber Fußball sehen, also wurde er nicht total fallen gelassen. Aber man hat sich selbst Knüppel zwischen die Beine geworfen, zum Beispiel in Sachen Spielerwechsel. Die Vereine waren doch im Prinzip nur Bezirksauswahlmannschaften. In Dresden bekamst du keinen Spieler aus Magdeburg, aus Jena oder aus Rostock. Da waren den Trainern die Hände gebunden.

Die guten DDR-Spieler kannte man aber auch im Westen?
Natürlich, über die Spieler waren sie im Westen einigermaßen informiert. Aber die Trainer spielten keine Rolle.

Wurden nach der Wende Ihre Qualifikationen vom DFB anerkannt?
Viele Trainer mussten noch mal eine Schulung machen oder sich weiterbilden. Es gab einige wie mich, die jahrelang im Oberligabereich oder im internationalen Geschäft trainiert haben, die brauchten das nicht zu tun. Von anderen Kollegen wurde das aber gefordert, die mussten sich weiterbilden. Ich kenne verschiedene gut ausgebildete Trainer - Diplomsportlehrer. Die hatten fünf Jahre an der DHfK studiert und wurden nicht übernommen. Die Qualifikation der Trainer war hoch, aber in den Vereinen wollten sie natürlich keinen reinlassen. Wir waren für sie Konkurrenten. Da haben viele lieber einen mittelmäßigen Kroaten genommen als einen aus der DDR.

Ähnlich wie im Schwimmen oder in anderen Sportarten?
Das war ja in vielen Sportarten so, nehmen sie die Leichtathletik oder das Rudern. Oder Wolfram Lindner zum Beispiel, ein absoluter Radsportfachmann. Der hat dann in der Schweiz die Weltmeister gemacht.

Sie waren nach der Wende noch lange Vereinstrainer, zum Beispiel in Cottbus. Im Vergleich zu heute: Hat sich der Fußball nicht extrem verändert, allein durch die Gehälter die mittlerweile gezahlt werden?
Na gut, auch heute verdienen nicht alle so viel. In Cottbus haben sich die Spieler zumindest keine goldene Nase verdient. Aber schlecht ging es ihnen zumindest nicht.

Wissen Sie noch, wie hoch Ihr erstes Westgehalt war?
Könnte ich Ihnen sagen, will ich aber nicht.

War es so viel oder so wenig?
Ich kann Ihnen sagen, was ich in Cottbus als Trainer verdient habe. Das waren 5000 D-Mark brutto.

5000 DM brutto pro Monat?
Ja, da kriegte man 3200 raus. Das ist sehr dürftig, dafür würden sich manche nicht mal die Schuhe zumachen.

Neben den Stationen in Dresden und in Cottbus haben Sie ja zwei Mal beim FC Sachsen Leipzig gearbeitet als Trainer und auch als Sportdirektor bis 2007, als der Klub vor der Insolvenz stand. Da haben Sie Ihrer Vertragsauflösung zugestimmt. Wie haben Sie denn damals den Einstiegsversuch von Red Bull beim FC Sachsen erlebt?
Also wir hatten mit Sachsen Leipzig Gespräche mit Red Bull, aber danach habe ich nie wieder was gehört. Es gab einmal eine größere Besprechung, dann war Funkstille.

Ist denn Red Bull Leipzig heute eher Chance oder Bedrohung für den ostdeutschen oder den sächsischen Fußball?
Es ist legitim, dass man einen Fußballverein finanziell so unterstützt, dass sie in kurzer Zeit von der 3. oder 4. Liga in die 1. Liga marschiert. Also wir hatten das in Hoffenheim, auch Wolfsburg und Leverkusen leben ja mehr oder weniger vom VW-Werk oder von der Pharmazie. Red Bull hat den Zuspruch, weil die Leute natürlich auch ein bisschen höher qualifizierten Fußball sehen wollen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie am Ende auch geliebt werden.

Anders als bei Dynamo Dresden?
Wenn RB in die 1. Liga aufsteigt und gegen Bayern oder Stuttgart spielt, werden die Leute dort auch hinrennen. Es wäre andererseits schön, wenn Leipzig noch eine der alten Mannschaften hätte, aber das ist Schnee von gestern. Die Leute in diesen Vereinen sind nicht nur an Finanzen, sondern auch an fehlender Weitsicht, gescheitert.

In der DDR kam es zur Wende, als Sie Trainer von Dynamo Dresden und der Nationalmannschaft waren. War diese Dreifachbelastung nicht zu viel für Sie?
Man braucht ein kollegiales Umfeld und das hatte ich am Anfang auch. Wenn dann aber welche an deinem Stuhl sägen? Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf den Tischen. Es ist ein schweres Unterfangen, einen Verein und gleichzeitig die Nationalmannschaft zu betreuen. Grundsätzlich war dieses Modell aber nur eine Übergangslösung und das hatte sich mit der Wende ja auch erledigt.

Was trauen Sie der aktuellen deutschen Nationalmannschaft in Brasilien zu?
Deutschland gehört immer mit zu den Mannschaften, die in Europa mit führend sein können, neben Spanien, Frankreich, den Niederlanden oder auch Italien. In Brasilien wird es sehr schwer, nicht nur weil dort klimatisch andere Verhältnisse herrschen. Zurzeit sehe ich mehrere Probleme in unserem Defensivspiel, wir sind nicht in der Lage, mal ein 1:0 zu retten. Wir sprechen zwar immer von Spielkultur, gut und schön, aber ich muss natürlich ab und zu auch mal gewinnen.

Aber in der Qualifikation gab es doch neun Siege und nur ein Unentschieden?
Schon, aber wir haben eben seit 1996 kein Turnier mehr gewonnen. Wir hauen uns ein bisschen die Tasche voll: Wir spielen durchaus guten, attraktiven Fußball. Die Nationalmannschaft ist auch immer in der Lage Tore zu schießen, mit einem guten Mittelfeld und einer guten Offensive. Aber wir nach haben wie vor links und rechts auf den Flügeln Probleme, vor allem was die Abstimmung in die Zentrale angeht. Da sehe ich keinen Spieler, der über internationales Niveau kommt.

Gibt es unter Joachim Löw eine zu starke Orientierung auf die Offensive und auf das schöne Spiel?
Das Schönste für einen Trainer ist es, wenn man nach dem Sieg gelobt wird: für das schöne Spiel und für den Sieg. Klar, man möchte attraktiven Fußball bieten, aber das Resultat ist das Wichtigste, da kann man noch so viel rumschwafeln. Man muss gewinnen. Und manchmal sind es eben Spiele, nach denen zwei Wochen später keiner mehr darüber redet, wie es zu dem Resultat gekommen ist.

Und wie bekommt man diese Resultate?
Ich muss mir vor allen Dingen Gedanken machen, dass die gesamte Defensive funktioniert, das fängt vorne beim Stürmer an und endet beim Torwart. Da haben wir in der Nationalelf zu viele große Lücken, zu viele Ungereimtheiten. Zum Beispiel auch bei gegnerischen Standardsituationen.

Herr Geyer, Sie leben heute in Dresden. Haben Sie noch mit Fußball zu tun?
Aktiv mache ich nichts mehr, nein. Ich verfolge die Bundesliga, also die 1., die 2. Liga und natürlich auch die kleineren Mannschaften bis zur 3. Liga. Ich fahre ab und zu nach Cottbus und sitze beim FC Energie im Stadion. Und bei Dynamo Dresden schaue ich mir eigentlich alle Heimspiele an.