Nichts Zählbares zur Halbzeit

Mögliche Kompensationen für Klimaschäden lassen den Warschauer UN-Gipfel stocken

  • Nick Reimer, Warschau
  • Lesedauer: 3 Min.
Wie groß ist der Schaden, wenn in Bangladesch Ackerböden versalzen? Diese Frage gilt auf dem Warschauer Klimagipfel als eine technische, die es aber in sich hat.

Halbzeit bei der Klimakonferenz in Polen: »Wir wollen die technischen Fragen bis zum Sonntag zu Ende bringen, um uns in der kommenden Woche ganz den politischen Fragen widmen zu können«, sagte am Freitag Polens Umweltminister Marcin Korolec, der auch Präsident der Klimakonferenz ist.

Technische Fragen tragen beispielsweise Überschriften wie »Loss and Damage« (»Verlust und Schaden«). Es geht um Schäden des Klimawandels, die irreversibel sind. Zum Beispiel in Bangladesh. Zwar ist der Meeresspiegel bisher erst um 20 Zentimeter angestiegen. Das hat in dem ex-trem flachen Land aber bereits zur Versalzung vieler Ackerböden geführt. »Manche Bangladeschis mussten in sieben Jahren 30 mal umziehen, um Fluten und Stürmen zu entkommen«, sagte Farah Kabir von der Enticklungsorganisation Actionaid. Für Farah Kabir ist auch klar, wer die Betroffenen entschädigt werden muss: »Die Industrieländer haben das Problem verursacht, nicht wir.«

Was aber sind solche Schäden? Wie soll der Wert von untergegangenen Inseln, ausgetrockneten Flüssen, getauten Gletschern bestimmt werden? Tragen die Geschädigten eine Mitschuld? »Jeder muss sich an neue Bedingungen durch den Klimawandel anpassen, auch wir«, sagte eine US-Diplomatin gegenüber dem »nd«. Wer mehr Mangrovenwälder anpflanze, der schütze sich vor dem steigenden Meeresspiegel.

»Die Arbeitsgruppe will noch am Samstag den Delegationen Richtlinien zu ›Loss and Damage‹ vorlegen, die dann beraten werden sollen«, kündigte die Generalsekretärin des UN-Klimasekretariats, Christiana Figueres, an. Angesichts solcher »technischen Fragen« erscheinen die politischen wie ein gordischer Knoten: Alle Staaten sollen 2015 einen Vertrag unterschreiben, der alle Länder, auch die ärmsten, verpflichtet, ihre Emissionen zu senken. Allerdings wollen sich die Entwicklungsländer ihre Unterschrift teuer bezahlen lassen: Ab 2020 sollen die Industriestaaten jährlich 100 Milliarden US-Dollar in den Süden überweisen, um dort grüne Wirtschaftsentwicklung und Anpassungsmaßnahmen zu finanzieren.

Wo das Geld herkommen soll, ist völlig ungeklärt. Auch um die Reduktionsmengen wird in Warschau heftig gefeilscht. Brasilien und China haben beispielsweise einen Antrag eingereicht, wonach die historische Verantwortung bei den Mengen zu berücksichtigen sei. Das würde bedeuten, dass Länder wie Deutschland oder die USA im neuen Klimavertrag deutlich stärker eingebunden werden als beispielsweise die Schwellenländer. 80 Prozent der vom Menschen verursachten Treibhausgase entstammen aus den Schloten, Auspuffrohren und Heizungen der Industrieländer.

»Wir haben den Eindruck, dass insbesondere China mit ständig neuen Vorschlägen überhaupt nicht will, dass es hier substanzielle Fortschritte gibt«, hieß es am Freitag aus der deutschen Delegation. Tatsächlich gibt es noch nicht einmal beim Kyoto-Protokoll Licht am Ende des Tunnels. Dessen Verlängerung war auf dem vergangenen Klimagipfel in Doha 2012 zwar formal beschlossen worden. Allerdings, ohne Reduktionsziele bis 2020 in das Vertragswerk einzutragen - das sollte in Warschau nachgeholt werden. Auch das eigentlich nur eine »technische Frage« - zur Halbzeit ohne Aussicht auf Lösung. Zumal sich Japan, der fünftgrößte CO2-Emittent weltweit, am Freitag von den bisherigen Reduktionszielen verabschiedete.

»Das ist fast auf jedem Klimagipfel so gewesen«, erklärte Chefunterhändlerin Figueres: »Die Arbeitsgruppen sind gut unterwegs, aber es fehlt Zählbares.« Kommende Woche wird UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Warschau erwartet, genauso wie die Minister der 194 Vertragsstaaten. »Das bringt neuen Schwung aufs Verhandlungs-Parkett.«

Zählbar ist dagegen die Hilfe für die Überlebenden des Taifuns auf den Philippinen: Unter der Überschrift »Let’s help the Philippines together!« hat der polnische Konferenzpräsident die Delegierten dazu aufgerufen, für die Überlebenden zu spenden. »Eine halbe Million Zloty sind schon zusammen gekommen«, jubelte Korolec, umgerechnet etwa 125 000 Euro. Dagegen war ein Verhandlungsfortschritt, der dazu beitragen könnte, den Klimawandel und damit auch die Heftigkeit solcher Extremwetterereignisse künftig einzudämmen, nirgendwo in Sicht.

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