Reden in Posen

Die Choreografie »Real Poses« untersucht die Körpersprache in der Alltagskommunikation

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

Canan Erek entwickelt den Tanz aus der Beobachtung der Realität. Das hat sie bereits bei früheren Arbeiten, etwa der Teezeremonie-Collage »Chuppa Char« unter Beweis gestellt, vor allem aber mit der Reihe »Dance Poetry«, die sie in den Warteräumen verschiedenster Berliner Bürgerämter zur Aufführung bringt. Ihre neue, in den Uferstudios vorgestellte Arbeit »Real Poses« ist nun eine konsequente Fortsetzung dieses Ansatzes.

Man mag sogar einige Bewegungssequenzen, etwa das tanzende Sich-Umschlingen der beiden Performerinnen Maria de Duenas Lopez und Virag Arany, für eine direkte Übernahme und Weiterentwicklung einzelner Motive aus dieser in den engen Räumen der Bürgerämter geborenen Serie halten. Mütter, die ihre Kinder eng am Körper tragen, scheinen die Anregung geliefert zu haben.

Vor allem aber ist »Real Poses« der Versuch, die Bedeutung von Gestik und Körpersprache - eben die Posen - auf die alltägliche Kommunikation zu untersuchen. Erek verfolgt dabei mit ihren beiden sehr ausdrucksstarken Performerinnen - man ist schon versucht, ihnen das Attribut »Performerpersönlichkeiten« zuzuerkennen - unterschiedliche Taktiken. Sie überhöht mit Humor normale Gesten wie etwa das Händeschütteln zur Begrüßung. Sie entwickelt aus Gängen und Aufstehsequenzen eine Partitur von Bewegungen und Tönen. Dies ist der am stärksten komponierte und die Alltagsbeobachtung auf eine neue choreografische Ebene hebende Teil des Abends.

Am ausdrucksstärksten indes ist jene Szene, in der de Duenas Lopez und Arany die Situation des Kennenlernens zweier Frauen bei einem Tänzer-Casting beschreiben. Gesten müssen hier bei der spanischen und bei der ungarischen Tänzerin die fehlenden deutschen Worte ersetzen. Sie finden mit Handbewegungen Entsprechungen für so abstrakte Konzepte wie Vergangenheit, gelangen aber auch zu drolligen Verwechslungen von Zuschauer und Kurator.

Diese Sequenzen werden mehrfach unterbrochen durch Lektionen in Körpersprache und Motivationstechniken, wie sie den Ratgebermarkt im Netz und in den Buchhandlungen überschwemmen. Ein bisschen mehr Entscheidungsfreude hätte man sich hier gewünscht, vor allem in der Frage, ob diese Praktiken lediglich ironisch behandelt werden, in ihrer Tiefe - und ihrer Verwandtschaft zum Tanz - untersucht oder ob ihre massenhafte Verbreitung und die damit verbundene Automatisierung der Körper zum Thema gemacht werden sollten. Erek und ihr Performerduo verharren hier auf der ironisch angehauchten Präsentationsebene.

Insgesamt nimmt sich »Real Poses« ein komplexes und weites Thema vor. Der Abend enthält bezaubernde Elemente, lässt es manchmal allerdings an konzeptioneller Strenge vermissen. Aber es überzeugt, dass Canan Erek zu einem Zeitpunkt, an dem die Welle der Realitätskopien längst abgeebbt ist, weiter an diesen Zusammenhängen festhält. Es zeigt sich: Dies ist ihr Thema, unabhängig von Moden und echten oder vermeintlichen Vorlieben von Kuratoren. Zu solch einer Klarheit muss man sich auch erst einmal durchringen.

»Real Poses«, 16.-19.11., Uferstudios, 20.30 Uhr

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