Sinai und Kairo: Menetekel für Ägyptens Zukunft

Teufelskreis der Gewalt zwischen Islamisten und der Staatsmacht forderte neue Todesopfer

  • Anne-Beatrice Clasmann, Kairo
  • Lesedauer: 3 Min.
Bei einem Anschlag auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel sind am Mittwoch zehn Soldaten getötet worden. Am Vorabend wurde bei Zusammenstößen in Kairo mindestens ein Mensch getötet.

Auf dem Tahrir-Platz in Kairo fliegen in der Nacht Schrotkugeln und Tränengasgranaten. Im Norden des Sinai rammt wenige Stunden später ein Selbstmordattentäter sein Sprengstoffauto in einen Bus voller unbewaffneter Soldaten. Ägypten ist auch im dritten Jahr des Arabischen Frühlings kein friedliches Land.

Eine direkte Verbindung zwischen den Zusammenstößen auf dem Tahrir-Platz und der mörderischen Gewalt der Dschihadisten auf dem Sinai gibt es zwar nicht. Doch sind beide Vorfälle symptomatisch für das aggressive politische Klima, das derzeit in Ägypten herrscht. Bei einer Umfrage gaben jetzt 58 Prozent der befragten Ägypter an, sie fühlten sich sicher. Ende September waren es noch 66 Prozent gewesen.

Die Muslimbrüder, die im Juli von Militärchef Abdel Fattah al-Sisi entmachtet wurden, sehen sich bis heute in der Opferrolle. Dass sie auch deshalb von der Macht vertrieben wurden, weil ein Großteil der Bevölkerung ihren Regierungsstil genauso schlecht fand wie den der alten Clique um Ex-Präsident Husni Mubarak leugnen sie bis heute standhaft.

Auch die Militärführung und die Übergangsregierung geben sich wenig kompromissbereit.

Auf die Frage, was er von einer möglichen Versöhnung mit den Muslimbrüdern halte, antwortete Übergangspräsident Adli Mansur im Gespräch mit ägyptischen Chefredakteuren mit einer Gegenfrage: »Kann man sich denn mit Verbrechern versöhnen?«

Es ist ein Teufelskreis. Je mehr Bomben die islamistischen Fanatiker zünden, desto härter geht die Staatsmacht gegen alle Gruppen vor, die den politischen Islam auf ihre Fahnen geschrieben haben. Das zieht eine Radikalisierung innerhalb dieser Strömung nach sich. Die Zahl der jungen Männer, die bereit sind, sich in die Luft zu sprengen, um »den Ungläubigen eine Lektion zu erteilen« oder »die getöteten Gotteskrieger zu rächen«, steigt.

Kurz vor dem Anschlag auf die Soldaten wurde im Internet im Namen der Terrorgruppe Ansar Beit al-Makdis das »Video-Testament« eines Terroristen veröffentlicht. Der Beduine hatte sich im Oktober vor dem Hauptquartier der Sicherheitskräfte in der Sinai-Stadt Al-Tur in die Luft gesprengt. In dem Video vermittelt der Attentäter den Eindruck eines jungen Mannes von geringer Bildung, der von Älteren indoktriniert und benutzt wird.

Das Militär und die Führung des Innenministeriums benutzen die Anschläge der militanten Islamisten ihrerseits geschickt, um ihren Machtzuwachs zu rechtfertigen und um die eigene Popularität zu steigern. »Ich versichere dem großartigen ägyptischen Volk, dass unsere Männer ihren Kampf gegen den schwarzen Terrorismus fortsetzen wird, und dass sie die finsteren Missionare der Spaltung und des religiösen Fanatismus ausmerzen werden«, erklärt ein Militärsprecher nach dem Anschlag.

Der ehemalige Vorsitzende des Operationszentrums der Armee, General Abdel Moneim Said, geht in einem Interview mit dem staatlichen Fernsehen noch einen Schritt weiter. Er sagt: »Alle bekannten Verbrecher auf dem Sinai müssen geschnappt und sofort hingerichtet werden. Den Saboteuren dort sollte man vor Militärgerichten den Prozess machen.« dpa

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