Comeback für Englands Eiffelturm?

Der berühmte Crystal Palace in London soll neu aufgebaut werden

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein chinesischer Milliardär will in London den berühmten Crystal Palace der Weltausstellung von 1851 neu aufbauen und stößt damit auf Begeisterung wie Widerstand.

London macht momentan vermehrt Schlagzeilen wegen der wachsenden Unbezahlbarkeit immer neuer Stadtteile nicht nur für Geringverdiener, sondern auch für die Mittelschicht. Da passt eine Nachricht ins Bild, für die der chinesische Milliardär Ni Shaoxing (57) sorgt. Der Kunstliebhaber, den das US-Magazin »Forbes« mit einem Vermögen von 1,25 Milliarden Dollar listet, enthüllte kürzlich im Beisein von Bürgermeister Boris Johnson Pläne für den Wiederaufbau von Crystal Palace im Südosten Londons. Die Investition soll 500 Millionen Pfund kosten und den Palast bis 2018 an der Stelle entstehen lassen, wo von 1854 bis 1936 das Originalgebäude von Joseph Paxton gestanden hatte.

Der Kristallpalast, das damals größte Stahl-und-Glas-Gebäude der Welt, war 1851 von dem britischen Architekten für die Weltausstellung im Hyde Park geschaffen worden, anschließend umgezogen und mit kleinen Änderungen originalgetreu in Südlondon wiedererrichtet worden. 1936 fiel er einem Großbrand zum Opfer, der den Himmel über London erhellte und über hunderttausend Schaulustige anlockte, darunter den künftigen Premierminister Winston Churchill. Im Feuerschein des dahinschmelzenden Palasts erklärte er: »Das ist das Ende einer Ära.«

Tatsächlich hatte der viktorianische Bau bei seiner Einweihung 1851 die Fantasie der Öffentlichkeit bewegt: Inmitten der Industriellen Revolution hielt er in ihrem Mutterland und im Zentrum seiner Empire-Metropole der neuen Gesellschaftsepoche den Spiegel vor - die Volkszählung desselben Jahres etwa ergab, dass die städtische Bevölkerung in einem Land erstmals größer als die ländliche war. Auch architektonisch machte Paxton was her, im Gegensatz übrigens zu den allermeisten neuen öffentlichen Gebäuden (Banken, Bahnhöfe, Museen) des Industriezeitalters. Bei ihnen imitierten die Architekten in der Regel lieber historische Vorlagen - griechische Tempel, die italienische Renaissance oder die Gotik (bekanntestes Beispiel 1834 der neogotische Palast von Westminster, das Parlamentsgebäude, von Sir Charles Barry). Der Kristallpalast jedoch bediente sich einer neuen Sprache, ähnlich wie wenige Jahrzehnte später Gustave Eiffel für seinen Lichterturm in Paris. Auch dort bot eine Weltexpo den Anlass.

Das jetzige Projekt von Investor Ni Shaoxing soll nach dessen Worten ein »Juwel in der Krone für Britannien und die Welt« werden, der Bau mit seinen ursprünglichen Abmessungen von 500 Meter Länge und 50 Meter Höhe einmal 2000 Menschen beschäftigen - in Geschäften, einem Konzert- und Ausstellungs-, einem Konferenz- und Hotelkomplex und in Luxusapartments.

Viele Bewohner des Bezirks Bromley nehmen die Pläne mit Skepsis und erstem Widerstand auf. Sie verweisen auf den Park und fürchten den Verlust der grünen Lunge. Mr. Ni und Bürgermeister Johnson empfingen Plakate mit der Aufschrift »Parks for people, not for profit«, als sie die Terrassen begingen, wo Crystal Palace einmal stand. John Payne, Vorsitzender der Nachbarschaftsorganisation, sagte: »Wir erwarten, dass die Bewohner des Bezirks ernsthaft einbezogen werden.« Johnson räumte ein, dass viele Details noch zu entscheiden seien: »Es wird um eine zeitgemäße Version des Palasts, nicht um einen Akt der Nostalgie gehen.« Das haben die Londoner oft gehört. Vielen fehlt inzwischen der Glaube.

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