Die bitterste Art der freien Wahl

Blatt für Hans Otto

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

November 1933: Der Schauspieler Hans Otto ist einer der ersten Kommunisten, die von den Nazis ermordet werden. Sein Bild bleibt in der Geschichte stehen als Gegenbild - zu allen anderen (verständlichen, weil hautrettenden) Formen, mit einer Diktatur fertig zu werden. Ein Gegenbild auch zu dem, was nach 1945 geschah. Die DDR benannte Leipzigs Theaterhochschule nach Hans Otto, Potsdam seine Bühne.

Schriftsteller Ralph Giordano erinnerte 1994 in einem Artikel an westdeutsche Geschichte nach zwölf Jahren Hitler. »Die 50er Jahre: ein brauner Epilog.« Nahtloser Übergang von Fröhlichkeit zu Fröhlichkeit; Heimatschnulzen, Förster-Uniformen. Wer bei Goebbels gespielt hatte, spielte größtenteils »auch unter der Adenauerherrschaft; hartleibiges Schweigen der alt/neuen Film- und Theater-Größen«. Giordano nennt zwei Ausnahmen: Victor de Kowa und Will Quadflieg. Er vor allem war es, der »sich zu schmerzhafter Wahrhaftigkeit durchrang - gegen das große Kapitel des Mitläufertums, wie er es nannte, und der dabei die Spitze gegen sich selbst richtete.« Einen »Befreiungsschlag« nannte Giordano das, »endlich Erlösung durch Bekenntnis zur Wahrheit, wie es allen anderen auch möglich gewesen wäre, die es nicht taten.« Nicht einmal aus Scham vor den Verfemten und Toten.

Hans Otto, geboren 1900, stand mit Gustaf Gründgens und Werner Krauß zur »Faust«-Premiere auf der Bühne des Staatstheaters am Berliner Gendarmenmarkt, Januar 1933. Einen Monat später wird dem KPD-Mitglied gekündigt, im November Verhaftung, Folter - man stößt ihn am 24. November (Selbstmord vortäuschend) aus dem Fenster im dritten Stock einer SA-Kaserne. Goebbels untersagt, den Tod zu vermelden. Gründgens bezahlt die Bestattung. Otto liegt auf dem Waldfriedhof Stahnsdorf.

Das Leben von verfolgten, in Exil oder Tod getriebenen Künstlern wie Otto Wallburg, Fritz Grünbaum, Robert Dorsay und eben Hans Otto mahnt: Allen Verweisen auf den sehr speziellen Charakter von Kunstausübung möge bei jeder Gelegenheit nachgetragen werden, was ebenso unvergessen bleiben soll: die große Kunst des Charakters.

An Hans Otto zu erinnern, das ist: Zurechtrückung. Es ist Augenmerk darauf, wer die Ersten waren. Die Ersten, die nicht von schlimmer Fügung getroffen wurden, sondern eine Entscheidung trafen. Die ersten Opfer wussten, dass sie es werden würden. Sie konnten etwas dafür, dass das, was mit ihnen geschah, eintrat. Sie lehnten es ab, unbehelligt zu bleiben (Otto schlug ein Wien-Angebot von Max Reinhardt aus). Otto handelte, indem er Kommunist war, als reinster Demokrat: Er wählte nämlich frei. Er wie andere erste Mutige, erste Unfähige für Tatenlosigkeit. Sterben fürs ewige Gesetz: Ein paar Wenige sind anständig, und auf sie beruft sich später der millionenstarke Rest.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal