nd-aktuell.de / 23.11.2013 / Kultur / Seite 42

Werbung um Verständnis

Yasmina Khadra: Afrika - Schrecken und Faszination

Harald Loch

Ein Junge ziert den Umschlag des Romans. Er steht auf einem weißen afrikanischen Strand und bildet den Kontrast zum Titel des Buches: »Die Landkarte der Finsternis«. Sein Autor schrieb unter dem Pseudonym Yasmina Khadra, weil er als hoher Offizier in seiner algerischen Heimat nicht unter seinem Kommandeur-Namen Mohammed Moulessehoul das veröffentlichen konnte, was er zu sagen hatte. Heute lebt er - literarisch hoch dekoriert - in Paris. Sein Roman ist eine Werbung um Verständnis für den »schwarzen Kontinent«. Alles beginnt in Frankfurt am Main und führt dorthin zurück - aber nicht endgültig.

Kurt Kraussmann, Arzt, bricht mit seinem Freund Hans zu einem Segeltörn zu den Komoren auf. Er will über den unbegreiflichen Freitod seiner Frau Jessica hinwegkommen. Bald hinter der Straße von Aden wird die Yacht nachts von Piraten gekapert und beide werden als Geiseln gefangen genommen, den Koch, einen Nichtschwimmer, haben die Piraten einfach über Bord geworfen.

Letztlich geht es um Lösegeld. Hans und Kurt werden in tagelangen Fahrten durch die Wüste zu einem fern jeglicher Bewohnbarkeit gelegenen Schlupfwinkel verschleppt und zu einer dritten Geisel, Bruno, gesperrt, einem seit dreißig Jahren durch Afrika streunenden und von dem Kontinent besessenen Franzosen.

Mit seiner vom Autor in kraftvollen Dialogen inszenierten, oft unerträglichen Besserwisserei (»so ist das nun mal in Afrika«) stellt Bruno die beiden Deutschen auf harte Geduldsproben. Bald wird Hans von den anderen getrennt: Man erhofft sich ein schnelles und hohes Lösegeld von dem Unternehmer. Kurt und Bruno müssen die unmenschlichen Bedingungen ihres glühendheißen Kerkers, die willkürlichen Misshandlungen zu zweit durchstehen.

Immer wieder wird ihnen von den Entführern eine zusammenfantasierte afrikanische Ideologie entgegengeschleudert, werden ihnen, wenn sie sich über die Behandlung beschweren, die Grausamkeiten des Kolonialismus oder auch die Verbrechen im Europa des 20. Jahrhunderts entgegengehalten. Yasmina Khadra kennt beide grausamen Seiten dieser Medaille nur zu gut. Schließlich gelingt den beiden Deutschen unverhofft die Flucht. Orientierungslos irren sie durch unendliche Wüstenstriche, ehe sie - inzwischen in Darfur - auf eine Kolonne des Roten Kreuzes treffen, die mit einer Gruppe schwerkranker Bürgerkriegsopfer, Überlebenden von Massakern, Greisen und Kindern zu ihrer Station streben.

Völlig entkräftet, psychisch und physisch schwer traumatisiert erreichen sie den Stützpunkt und kommen zu den Wundern der Zivilisation zurück. In der Zwischenzeit haben sie die Wunder Afrikas, unendliche Armut und Elend, aber auch Lebensmut und Lachen, Mord und Menschenliebe kennengelernt.

Moulessehoul findet kraftvolle Worte für diese Menschen: »Eine Mentalität so alt wie der Urschrei des Lebens, die bisher alles bravourös überstanden hat, ferne Vorzeiten ebenso wie die Irrungen der Moderne.« Ausgerechnet der schlimmste Peiniger der beiden Geiseln, den sie auf ihrer Flucht erschießen mussten, war ein mit vielen Preisen ausgezeichneter afrikanischer Dichter.

Im Lager des Roten Kreuzes kehren zu Kurt auch andere, längst abgeschriebene Empfindungen zurück: Er verliebt sich in die spanische Ärztin Elena. Zurück in Frankfurt, findet er nicht in sein altes Leben. Als er ein Mail von Elena erhält, antwortet er kurzerhand »Ich komme!« Die junge Liebe zu ihr und die Faszination Afrikas machen ihn untauglich für Frankfurt. Moulessehoul erspart uns weitere Einzelheiten des nur angedeuteten Happy-Ends. Das hätte sein spannendes Buches entwertet.

Yasmina Khadra:
Die Landkarte der Finsternis[1]. Roman. A. d. Franz. v. Regina Keil-Sagawe. Ullstein Verlag.
332 S., geb., 19,99 €

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