Ohrmuskeln machen mobil

Deutsche Forscher entwickeln neue Steuerung für Rollstühle. Von Elke Bunge

  • Elke Bunge
  • Lesedauer: 2 Min.

Ein falscher Sprung, ein Sturz, ein Autounfall. Es ist bisweilen nur ein kleiner Moment, der das ganze Leben verändert: Querschnittslähmung ist eine Behinderung, die in der Regel kaum therapierbar ist und die Betroffenen dauerhaft einschränkt. Insbesondere wenn die Lähmung von Brust oder Hals abwärts stattgefunden hat und weder Beine noch Arme selbstständig bewegbar sind. Dann wird es extrem schwierig, einen Rollstuhl oder einen Computer zu bedienen. Erst seit kurzem gibt es dafür Systeme, die über die Atmung oder durch Blickbewegungen gesteuert werden.

Nun gibt es einen neuen Ansatz. Eine interdisziplinäre Forschergruppe aus Heidelberg, Göttingen und Karlsruhe hat deshalb nach einer neuen Methode gesucht, wie Betroffene Hilfsmittel eigenständig bedienen können. Neben Mund und Augen kamen dafür die Ohren in Frage.

Aus früheren Untersuchungen ist bekannt, dass Menschen die Muskeln am Ohr willkürlich steuern können. Diese feinen Bewegungen reichen aus, um eine Computersteuerung zu bedienen. Die Forscher entwickelten ein System, das Ohrmuskeln und Computersteuerung verbindet. Dabei zeichnet ein Chip hinter dem Ohr Muskelsignale auf, die dann per Funk an einen Computer übertragen werden. Der wandelt sie in Steuerbefehle für einen Rollstuhl um. Die Elektronik des getesteten Prototyps kommt aus Rüdiger Rupps Labor für Experimentelle Neurorehabilitation am Universitätsklinikum Heidelberg.

Um herauszufinden, ob die Idee auch in die Praxis umzusetzen ist, ließen die Forscher zehn gesunde Probanden über fünf Tage jeweils eine Stunde täglich trainieren. Dabei mussten sie ihre Ohrmuskulatur gezielt abwechselnd auf der rechten und linken Seite aktivieren. Unterstützt wurden sie dabei von einer speziellen Trainingssoftware, die jedem Probanden eine Rückmeldung über die Qualität seiner Ohrmuskelsignale gab. Dann kam der entscheidende Test: Am fünften Tag setzten sich die Probanden in einen elektrischen Rollstuhl und steuerten diesen mittels Ohrmuskeln und ihrer persönlichen Trainingssoftware. Das Ergebnis: Alle Probanden waren nach dem Training in der Lage, nur mit Ohrsteuerung im Rollstuhl durch das Hauptgebäude des Universitätsklinikums Göttingen zu fahren.

Die mit dem Prototyp erzielten Ergebnisse werden jetzt Grundlage für die Entwicklung eines voll funktionsfähigen Systems. Dieses kann sich dann abwechselnd per Funk mit unterschiedlichen Geräten verbinden. Damit ist nicht nur eine Rollstuhlsteuerung möglich, sondern auch ein Computer und andere Geräte können dann eigenständig bedient werden.

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