Nicht nur auf Sand gebaut

Kołobrzeg, einer der ältesten Kurorte an der polnischen Ostseeküste, mauserte sich in den letzten Jahren vom klassischen Kurort zu einem Zentrum für Wellnesstourismus

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 7 Min.

Morgens um acht muss man sich den Strand nur mit den Möwen teilen. Vor zwei Jahren allerdings war noch nicht mal das möglich. Denn da gab es den Strand östlich der Kołobrzeger Seebrücke noch gar nicht. Dort, wo heute ein drei Kilometer langer »Sandkasten« zum Bummeln, Spielen und Sporttreiben einlädt, schwappten die Ostseewellen ungehindert bis an die historische Uferpromenade, die sich über rund sechs Kilometer vom Ostrand der Stadt bis zum Leuchtturm am Westrand hinzieht. Mit einem aufwendigen Verfahren und 15 Millionen Euro, die komplett von der EU »spendiert« wurden, rang man dem Meer gut 70 Meter Land ab und schüttete es mit Sand aus der Ostsee auf.

Nicht nur für Adam Hok, der das nur wenige Meter vom Strand gelegene Wellnesshotel »Pro Vita« leitet, hat sich damit vieles geändert. Auch zahlreiche andere Hotels und Pensionen am Ostrand können die Bedeutung des neuen Strandes an den Gästezahlen ablesen. »Wir liegen nicht mehr ab vom Schuss und können nun, wie die vielen anderen Häuser westlich der Seebrücke endlich auch auf Sand bauen«, erzählt der 33-Jährige. Doch nicht der neue Strand allein ist Grund dafür, dass immer mehr Erholungsuchende in die Stadt kommen. Kołobrzeg hat sich in den vergangenen sechs Jahren einer gründlichen Verjüngungskur unterzogen, mehr als in Jahrzehnten zuvor. Allein 125 Millionen Euro flossen in den Ausbau der Infrastruktur. Die gleiche Summe wurde noch einmal in zehn neue Hotels mit 2000 Betten investiert, die allesamt privat finanziert wurden, die meisten durch Kołobrzeger selbst. Insgesamt gibt es jetzt 15 000 Betten, jedes dritte in einem Hotel.

Infos

Polnisches Fremdenverkehrsamt:
www.polska.travel/de

Kołobrzek:
www.polskiecentrumspa.pl

SPA City Kołobrzek:
www.spacitykolobrzeg.pl

Gekurt wird in der heute rund 47 000 Einwohner zählenden Hafenstadt schon lange. Die Geschichte als Seebad begann Anfang des 19. Jahrhunderts, als Wilhelm III. die Gründung eines »Seebade Etablissements« anregte und es sogar mit einer beträchtlichen Geldsumme subventionieren wollte. Doch die Stadtväter Kolbergs, wie der Ort damals noch hieß, zeigten kein Interesse, und so verlief das Ganze zunächst im (Ostsee)Sande. Bis nur kurze Zeit später Hans Heinrich von Held 1804 in Berlin ein Buch mit dem Titel: »Über das Meerbad bei Colberg und die beste und wohlfeilste Art sich desselben mit Nutzen zu bedienen« veröffentlichte. Darin schwärmte der ehemalige Sträfling, der wegen einer Schmähschrift gegen preußische Minister mehrere Monate in der Festung Kolberg eingesessen hatte: »Die stürmischen Wellen können sogar aus dem niedergedrückten Geist den menschlichen Hass wegspülen.« Er war überzeugt, dass er seine wiedergewonnene Gesundheit den »Wellen der Ostsee« zu verdanken habe. Was der Kaiser nicht vermochte, schaffte das Buch. Die Berliner begannen, nach Kolberg zu reisen – vielleicht hoffte so mancher darauf, irgendwelche Sünden im Meer abspülen zu können.

So richtig aber begann der Aufstieg der alten Hansestadt zum mondänen Seebad erst Mitte des 19. Jahrhunderts, als sich die beiden Balneologen Dr. Moses Behrend und Dr. Herman Hirschfeld hier niederließen und auf die heilende Wirkung von Moor und Sole, die natürlichen Schätze der Region, setzten. 1875 zählte man bereits 4152 Kurgäste, fünf Jahre später öffnete die vierte Solbadeanstalt mit 58 Badekabinen. Prächtige Kurhäuser, zahlreiche Sanatorien, großzügige Parks, gemütliche Cafés und Erholungsanlagen entstanden. In Kolberg zu kuren galt als chic, 1890 registrierte die Stadt 10 000, 23 Jahre später verzeichnet die Chronik 16 737 Kurgäste und zusätzlich 13 493 Sommerfrischler. Bald schon galt Kolberg als »Badewanne der Berliner«, nur vier Stunden brauchte der Zug in die 280 Kilometer entfernte Hauptstadt.

Doch die Lage am Meer brachte für die Stadt nicht nur Gutes. Immer auch war sie fürs Militär strategisch als Festungsstadt wichtig – im Dreißigjährigen und Siebenjährigen Krieg genauso wie in den Napoleonischen Kriegen und im Zweiten Weltkrieg. Das brachte stets Zerstörungen mit sich. So groß die Verwüstungen auch immer waren, keine sind vergleichbar mit denen, die das sogenannte Tausendjährige Reich hinterließ. Bei der Schlacht um Ostpommern vom 5. bis 18. März 1945 wurde Kolberg zu 90 Prozent dem Boden gleichgemacht. Als die Stadt nach Kriegsende polnisch und in Kołobrzeg umbenannt wurde, war von der alten Pracht nichts mehr geblieben.
Es dauerte Jahre, ehe man wieder an die lange Seebadtradition anknüpfen konnte. Bis 1990 erholten sich hier fast ausschließlich Polen, erst nach 1990 kamen auch die Deutschen langsam zurück. Anfangs vorwiegend die älteren Semester zum klassischen Kuren in klassischen Sanatorien. Das allerdings hat sich in den letzten fünf, sechs Jahren gründlich geändert, immer mehr entwickelt sich Kołobrzeg vom betulichen Kur- zum flippigen Wellnessort. Auch dank solch junger, ideenreicher Leute wie Adam Hok.

Der war einst nach dem Ökonomiestudium aus Kołobrzeg weggegangen, doch irgendwann war die Sehnsucht nach der Heimat größer als die Karriere in der Ferne. Vor vier Jahren kehrte der damals 29-Jährige zurück und begann, in einem Hotel zu arbeiten. Ganz schnell erkannte er, dass sich vieles ändern muss, wenn man junge Leute in den inzwischen etwas angestaubten Kurort locken will. Er begann auf Wellness statt klassische Moorbäder zu setzen, verbannte die schwere Kost aus dem Restaurant und setzte auf Sport, Spaß und Familienangebote. Überzeugt, dass man nur gemeinsam etwas erreichen kann, entstand die Idee, eine Vereinigung von Wellnesshotels zu gründen. Seit drei Jahren gibt es sie unter dem Namen »Spa City Kołobrzeg«, und Adam Hok ist ihr Chef. Sechs Wellnesshotels gehören derzeit dazu, ihr Hauptziel sehen sie darin, über Polen hinaus gemeinsam für die Stadt als eine der inzwischen wichtigsten polnischen SPA-Destinationen zu werben und sich noch enger mit den verschiedensten regionalen Unternehmern zu vernetzen. Das Konzept scheint aufzugehen. 2,4 Millionen Übernachtungen verbuchte der Ort 2010, im vergangenen Jahr waren es bereits fast 2,9 Millionen. Rund 30 Prozent der mehr als 320 000 Touristen und Kurgäste sind Ausländer, mit riesigem Abstand kommen die meisten aus Deutschland. Zunehmend steigt die Zahl der Gäste, die noch Jahrzehnte vom Rentenalter entfernt sind.

Attraktiv indes ist Kołobrzeg für jedes Alter, und das nicht nur, weil man hier noch immer bedeutend preisgünstiger seinen Urlaub verbringen kann, als in Deutschland. »Wenn die Qualität nicht stimmen würde, hätten wir auf dem Markt keine Chance. Sowohl im Angebot als auch in der Qualität müssen wir uns hinter niemandem verstecken«, ist Adam Hok überzeugt. »Die Maßstäbe, die wir an unsere Mitarbeiter stellen, sind auch entsprechend hoch. Dazu gehört neben Kompetenz und Freundlichkeit, dass jeder Deutsch und Englisch beherrscht. Die Sprachkurse bezahlen die Arbeitgeber.«

Wenn auch die historische Altstadt 1945 fast vollständig zerstört wurde, so kann man sie doch dank umsichtiger Sanierung seit Mitte der 70er Jahre wieder erkennen. Herzstück des alten Zentrums ist der Dom aus dem 14. Jahrhundert, ein gewaltiger Bau mit deutlich schief stehenden Säulen im Inneren. Das sei auf eine Absenkung des Bodens zurückzuführen, erfährt man bei einer Führung. Angst um die Statik indes muss man nicht haben.
Zu den beliebtesten Fotomotiven gehört der Leuchtturm am alten Hafen. Der sieht zwar aus, als ob er Jahrhunderte auf dem Buckel hätte, wurde aber erst nach dem Krieg auf den Fundamenten einer alten Festung aus dem Jahr 1666 erbaut. Von oben hat man den besten Überblick über Kołobrzeg: Auf die vor zwei Jahren erbaute moderne Marina, in der schicke Jachten vor Anker liegen oder auf die 1971 erbaute 220 Meter lange Seebrücke.
Seit 2003 herrscht jedes Jahr Ende Juli für drei Tage Ausnahmezustand – wenn das »Sunrise-Festival« bis zu 40 000 Technofans anzieht. »Dann zittert die ganze Stadt«, erzählt Adam, dessen Hotel nur wenige Meter neben der Hauptbühne liegt. Seinen Gästen scheint das nichts auszumachen, und erstaunlicherweise sind es nicht nur junge Leute, die das Festival anzieht.

Bald aber kommen erst einmal ganz andere Hartgesottene zum jährlichen »Welttreffen der Eisbader«. Vom 2. bis 6. Januar stürzen sich rund 1000 »Verrückte« in die eiskalten Fluten der Ostsee, überzeugt davon, dass das Wellness vom Feinsten ist. Hok und den anderen Hoteliers ist's recht: Sie heizen dann die Sauna an, servieren heißen Punsch und freuen sich über volle Häuser.

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