nd-aktuell.de / 23.11.2013 / Brandenburg / Seite 14

Es geht um alle Opfer von Nazigewalt

Interview mit einem Organisator der Silvio-Meier-Demonstration, zu der linke Gruppen für den Sonnabend aufrufen

Lars Laumeyer ist Sprecher der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB). Die Gruppe organisiert das jährliche Gedenken an den linken Hausbesetzer Silvio Meier, der 1992 von Neonazis ermordet wurde. Über die Demonstration am Sonnabend, 15 Uhr, U-Bahnhof Samariterstraße, Friedrichshain, sprach mit der ALB für »nd« Paul Liszt.

nd: Die Silvio-Meier Demo zum zwanzigsten Todestag im vergangenen Jahr verzeichnete eine Rekordbeteiligung, die Gabelsberger Straße wurde offiziell in Silvio-Meier Straße umbenannt. Eigentlich ein guter Abschluss für die Kampagne, oder?
Lars Laumeyer: Es gab nie eine Kampagne. Die Silvio-Meier-Demonstration war mehr als ein Hinarbeiten auf eine Straße mit seinem Namen. Die Idee der Straße kam viel später. Vielmehr ist das Gedenken entstanden aus einer Wut-, Protest-, aber auch Trauerdemonstration nach dem Mord an Silvio Meier. Danach gab es sie jedes Jahr. Die Gedenkdemo ist mehr als nur eine Demonstration für eine Person, sondern steht für Antifa-Politik in Berlin.

In einer Broschüre, die 2012 veröffentlicht wurde, kritisieren ehemalige politische Weggefährten von Silvio Meier die Aktivitäten rund um die Demonstration. Sie liefe Gefahr zum Märtyrerkult zu verkommen, hieß es.
Wir haben in der Vergangenheit Veranstaltungen zu dieser Frage organisiert und haben mit Angehörigen von Silvio Meier gemeinsam Aktionen entwickelt, wie zum Beispiel die Mahnwache zum Todestag im U-Bahnhof Samariterstraße. Auch die Idee mit der Straße kam nicht nur von uns, sondern ist mit Leuten zusammen entstanden, die Silvio kannten. Was uns immer wichtig war, ist zu betonen, dass es nicht nur um Silvio Meier geht, sondern dass er eine Symbolfigur ist für alle Opfer von Nazigewalt nach der Wende. Von daher sehe ich den Vorwurf des Märtyrerkultes nicht.

Die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) ist in diesem Jahr zehn Jahre alt geworden. Als Gruppe hat sie die Silvio-Meier Demos immer maßgeblich mitorganisiert. Welche Rolle spielte das Gedenken an Opfer von Neonazi-Gewalt und speziell an Silvio Meier in dieser Zeit für Ihre Gruppe?
Bei der Gestaltung der Silvio-Meier-Demonstration in diesem Jahr sieht man, dass es wieder den Schwerpunkt »Nationalsozialistischer Untergrund« gibt. Also tödliche Nazi-Gewalt, stets verbunden aber auch mit linker Politik. Dem Bündnis war es immer sehr wichtig, dass man nicht nur auf die Nazis schaut, sondern auch eigene Inhalte stärkt. Deswegen auch das Motto: Antifa in die Offensive.

Ansonsten kann man bei dem Gedenken an die Opfer von Nazi-Gewalt sagen, dass Silvio Meier schon immer ein Schwerpunkt bei uns war. Trotzdem gibt es nicht nur von der ALB weitere Initiativen wie etwa die in Buch für Dieter Eich oder auch das »Siempre Antifa«-Festival, was es seit einigen Jahren in Berlin gibt. Wo ganz klar gesagt wird, es ist ein internationalistisches Festival. Ganz aktuell spielt im diesjährigen Aufruf ein Fall aus Griechenland eine Rolle, wo ein linker Rapper im September von Nazis ermordet wurde. Oder nehmen Sie die Geschichte von Clément Méric aus Frankreich. Es geht darum, Verbindungen aufzuzeigen. Die Fälle sind häufig ähnlich, es sind Aktivisten, die sich politisch geäußert haben. Sie wurden umgebracht, weil sie klare Ansagen gegen Nazis gemacht haben.

Gedenken kann bei jährlicher Wiederholung dennoch schnell zum Ritual werden. Wo sehen Sie über dieses Jahr hinaus die Perspektiven der Silvio-Meier Demonstration?
Ritual würde ich es nicht nennen. Die Demonstration ist in Berlin ein wichtiger Pfeiler im Jahr, wo viele Leute auf die Straße gehen, um sich gegen Nazis bemerkbar zu machen. Es ist ein fester Tag, wo die Leute wissen, da können sie hingehen und werden wahrgenommen. Das hat eine Ausstrahlung. Das sieht man auch auf der Demonstration, Strukturen aus den ehemals besetzten Häusern vertreten dort ihre Politik neben Leuten mit der Antifa-Fahne. Hinzukommen ganz aktuell etwa auch die Refugees, die Geflüchteten. Die Demonstration ist eine Art Spiegelbild linker Politik in Berlin – und was im Jahr gelaufen ist. Das Wort Ritual klingt immer nach etwas Altbackenem und das sehe ich bei der Silvio-Meier Demonstration gar nicht. Vielmehr hat sich die Antifa-Bewegung in Berlin einen Tag erkämpft, wo sie auf der Straße für die Leute wahrnehmbar sein kann. Das sollte man auch in den kommenden Jahren nutzen.

In den letzten Jahren ist etwas widersprüchliches zu beobachten. Die Zahl der Teilnehmer bei den Demos steigt, gleichzeitig werden die antifaschistischen Gruppen, die sich an der Vorbereitung beteiligen weniger. Wie erklären Sie das?
Aktuell gibt es gar nicht weniger Gruppen im Bündnis, es sind bloß andere als früher. Das grundsätzliche Problem von klassischen antifaschistischen Gruppen ist, dass sie häufig keine lange Haltbarkeitszeit haben. Die Silvio-Meier-Demonstration gibt es in diesem Jahr zum 21. Mal. Zugleich gibt es nur ganz wenige Gruppen in Berlin, die 21 Jahre alt sind. Von daher wird es immer wieder Jahre geben, wo Gruppen wegbrechen, aber auch neue hinzukommen.

Die Silvio-Meier Demo hat den Anspruch stets die aktuellen politischen Entwicklungen zu thematisieren. Was sind die inhaltlichen Schwerpunkte der Demonstration?
Das Motto lautet dieses Jahr: Antifa in die Offensive. Dabei geht es darum, antifaschistische Politik in Berlin präsenter zu machen. Es geht darum, sich klar zu positionieren, aber auch sich zu schützen. Es gab in der letzten Zeit mehrere Hausdurchsuchungen gegen linke Aktivisten. Auf der Demonstration soll ein Signal der Solidarität gesendet werden. Es ist also einerseits eine Demo gegen Repression, aber andererseits auch eine klare Ansage in Richtung der Nazi-Kieze, die es immer noch gibt, also nach Schöneweide mit dem »Henker« und Lichtenberg. Die Botschaft heißt: Wir haben Euch auf dem Schirm.

In den letzten 21 Jahren hat sich auch in der Berliner Neonazi-Szene viel verändert. Ihr Schwerpunkt hat sich tendenziell weg von Lichtenberg hin in das angesprochene Schöneweide verlagert. Gab es jemals die Überlegung die Silvio-Meier-Demonstration dorthin zu verlegen?
Überlegungen, den Bezirk zu wechseln, gab es immer wieder. Allerdings waren ein Großteil der beteiligten Leute immer davon überzeugt, dass es eine gute Idee ist, in Friedrichshain loszugehen, weil dort der Ort liegt, an dem Silvio Meier umgebracht wurde. Vor dort aus gehen wir nach Lichtenberg zu den Tätern. Lichtenberg ist weiter ein Thema, das sieht man an dem Nazi-Laden in der Lückstraße. Die dortigen Strukturen stehen aus unserer Sicht nach wie vor stellvertretend für die Orte und Strukturen der Täter in Berlin. Demos vor anderen Läden wie dem »Henker« gibt es trotzdem, dort werden wir auch künftig weiter hin mobilisieren, laut und präsent sein.

Was bedeutet die Silvio-Meier-Demonstration für Sie persönlich?
Für mich spielt die Demo eine sehr wichtige Rolle. Sie war ein wesentlicher Faktor, mich zu politisieren. Die Silvio-Meier-Demonstration war die erste Antifa-Demo, auf der ich als Schüler war. Deswegen ist es für mich zu einer Art Pflichtveranstaltung geworden. Die Silvio-Meier-Demonstration ist zudem eine Veranstaltung, zu der auch mal andere Leute kommen als sonst. Wo Leute aus dem Kiez kommen. Ein weiterer positiver Punkt ist ihr jugendlicher Charakter: Es gelingt, Schüler mit einzubinden und zu mobilisieren. Ich finde es sehr wichtig, auch mal mehr zu werden als die üblichen Verdächtigen. Dieses Ziel zu erreichen ist uns mit der Silvio-Meier-Demonstration immer gelungen.