nd-aktuell.de / 23.11.2013 / Kultur / Seite 22

Im Feuer der Gier

Passend zur Wirtschaftskrise: Amerikanischer Romane aus der Depression

Ruth René Reif

Die Krise breitete sich über das ganze Land aus, und es hieß, selbst große Konzerne und sogar Banken seien in Schwierigkeiten. Panik lag in der Luft … Überall Knappheit, Sorge in den Gesichtern, Andeutungen von Bankrott und Arbeitslosigkeit …»

Was sich liest wie die Beschreibung der aktuellen wirtschaftlichen Lage in einigen Ländern Europas, entstammt dem Roman «Öl!» von Upton Sinclair aus dem Jahr 1927, einem von mehreren sozialkritischen Werken aus der amerikanischen Rezessionszeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die jetzt - passend zum heutigen Krisengeschehen - wieder aufgelegt wurden. Hintergrund der Handlung sind der Ölboom der 20er Jahre und der Kampf um Reichtum und Macht. Da werden Gewerkschaftsführer gekauft, Regierungsbeamte bestochen und arglose Bauern übervorteilt. Es wird gelogen und betrogen und vom «Feuer der Gier» bleibt kaum einer verschont.

Angeregt hatte den Roman der spektakuläre Teapot-Dome-Skandal der Harding-Regierung, als der amerikanische Innenminister Ölreserven der Marine auf dem Ölfeld Teapot Dome in Wyoming sowie auf zwei Ölfeldern in Kalifornien gegen Bestechung an private Ölfirmen verpachtete. Aber auch mit dem Ersten Weltkrieg, der Russischen Revolution und der hysterischen Angst vor einer bolschewistischen Verschwörung setzt Sinclair sich auseinander. Es entbehrt nicht der Ironie, dass er nach dem Zweiten Weltkrieg selbst dieser Hysterie verfiel. In «Öl!» aber wirft er einen kritischen Blick auf die amerikanischen Truppen, die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in Sibirien verblieben, um die bolschewistische Regierung zur Anerkennung jener Kredite zu zwingen, die die Regierung des Zaren von amerikanischen Bankiers und Großindustriellen erhalten hatte.

Darüber hinaus bietet die Neuausgabe Gelegenheit, mit wiederkehrenden Vorbehalten aufzuräumen, Sinclairs Romane besäßen keinen literarischen Wert. Obwohl Dichter wie Bertolt Brecht und Erich Fried zu seinen Bewunderern zählten, wurde Sinclairs Erzählkunst, seine Sprache und seine Bildlichkeit, lange Zeit verkannt. Leider streift auch Trojanow den literarischen Aspekt nur knapp. Tatsächlich gehört Sinclair mit Theodore Dreiser, John Steinbeck, Sinclair Lewis, William Faulkner, Erskine Caldwell und John Dos Passos zu den großen Realisten der amerikanischen Literatur. Seine Romane, die die Wirklichkeit angesichts rascher Industrialisierung in ihren bittersten Aspekten zu bewältigen suchen, zeichnen sich durch eine radikale Durchdringung der Lage des Einzelnen in der Gesellschaft aus.

Ähnliches gilt für Thomas Wolfe, dem Kritiker mit dem Vorwurf, er schreibe bloß sein Leben ab, ebenfalls den literarischen Rang absprachen. 1995 holten Suzanne Stutman und John L. Idol den Roman «Die Party bei den Jacks» aus dem in der Houghton Library der Harvard University verwahrten Nachlass. Jetzt liegt er erstmals auf Deutsch vor. Allerdings muss man anmerken, dass es sich um keinen unbekannten Text handelt. 1940 hatte der Cheflektor des New Yorker Harper-Verlags aus unvollendet hinterlassenen Manuskripten Wolfes Roman «Es führt kein Weg zurück» zusammengestellt und dabei unter dem Titel «Mr. Jack und seine Welt» bereits den Großteil des Textes veröffentlicht.

Das Ehepaar Jack lädt im Mai 1928 in sein elegantes New Yorker Apartment zu einer schrillen Party. «Drei Dutzend der Vortrefflichsten und Besten» feiern ausgelassen, während die Große Depression ihre Schatten vorauswirft. Kaum wahrnehmbar sind die Anzeichen für den Zusammenbruch, sodass Frederick Jack den kritischen Moment der Verunsicherung gleich wieder verdrängt: «Alles war so solide und prächtig, so unvergänglich und so gut. Und alles war, als wäre es immer schon so gewesen - war auf magische Weise ganz bei sich, wie es, bei allen magischen Ausweitungen, sein musste, für immer.»

Am 24. Oktober 1929 brachen in New York die Börsenkurse ein. Banken schlossen, zahllose Unternehmen gingen Bankrott und Millionen verloren ihre Arbeit. Hart traf es die Pachtbauern im Süden des Landes. Sie lebten in elenden Behausungen, die den Pachtherren gehörten und mussten als Pacht auch noch einen Großteil ihrer Ernte abliefern. 1936 beauftragte das Magazin «Fortune» den jungen Journalisten James Rufus Agee, eine Reportage über das Halbpächterwesen im Süden der Vereinigten Staaten zu schreiben. Im Sommer 1936 reiste Agee mit dem Fotografen Walker Evans nach Alabama.

Nach langem Suchen fanden sich drei weiße Pächterfamilien, die sich gegen Bezahlung zur Verfügung stellten. Agee stürzte sich mit Verve in die Arbeit. Dann aber uferte sein Text so aus, dass «Fortune» ihn nicht abdrucken wollte. Auch Buchverlage lehnten das Manuskript ab. Erst 1941 konnte es mit Evans' Fotografien im Verlag Houghton & Mifflin erscheinen. Das Buch wurde kein Erfolg. Der Zweite Weltkrieg hatte dem Land einen wirtschaftlichen Aufschwung beschert. Das Elend der Pächterfamilien interessierte nicht mehr. Doch mit der Wiederauflage 1960, als Agee schon tot war, avancierte es zum Kultbuch. 1989 kam bei Schirmer/Mosel unter dem Titel «Preisen will ich die großen Männer» die erste deutsche Übersetzung von Karin Graf heraus. Diese wird jetzt in der Anderen Bibliothek wieder aufgelegt.

Posthumer Ruhm scheint das Schicksal zu sein, das all diesen Autoren und ihren Büchern zu eigen ist. In besonderer Weise trifft dies auf einen Roman zu, der, obwohl es sich um eine Wiederauflage handelt, immer noch als Entdeckung gelten kann: William Gaddis' monumentales Debüt «Die Fälschung der Welt». Erst 1998, wenige Wochen vor Gaddis' Tod, kam es in der Übersetzung von Marcus Ingendaay beim Verlag Zweitausendeins heraus. Das amerikanische Original erschien 1955. Es wurde von der Kritik verrissen und verschwand nach wenigen Monaten vom Markt. Gaddis zeigte sich enttäuscht und ernüchtert. Sieben Jahre hatte er an dem Roman gearbeitet.

Aber erst nach seinem Tod setzten die Elogen ein. Da war Gaddis das alles beherrschende Genie der amerikanischen Nachkriegsliteratur und «Die Fälschung der Welt» der Schlüsselroman der Postmoderne. Gaddis behandelt das Thema Fälschung in allen seinen Erscheinungsformen. «Überall, wo ich hinschaute, sah ich Falschheit», erläuterte er im Gespräch mit Ingendaay seine Idee zu dem Roman. «Unsere sämtlichen Werte waren falsch.» Was los sei mit Amerika, habe er sich gefragt. Ein Prozent der Bevölkerung besitze vierzig Prozent des Vermögens und die Reichen würden immer reicher und die Armen immer ärmer. Er habe eine zutiefst pessimistische Sicht auf die Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft und der westlichen Kultur.

Mit dem Zusammenbruch dieser Kultur endet der Roman. Als der Komponist Stanley, Gegenspieler des Malers Wyatt, sein in der Tradition Bachs geschriebenes Orgelstück an der Orgel einer italienischen Dorfkirche aufführte, erbebten die Mauern, «trotzdem dachte er nicht daran, jetzt aufzuhören. Selbst als alles ins Schwanken geriet und knirschend in die Tiefe krachte, schien es eher wie der Jubelschrei der Erlösung.»

Upton Sinclair: Öl! Neu übersetzt von Andrea Ott. Nachwort von Ilija Trojanow. Manesse. 768 S., geb., 34,95 €.

Thomas Wolfe: Die Party bei den Jacks. Übersetzt von Susanne Höbel. Nachwort von Kurt Darsow. Manesse. 352 S., geb., 24,95 €.

James Agee/Walker Evans: Preisen will ich die großen Männer. Übersetzt von Karin Graf. Die Andere Bibliothek. 520 S., geb., 38 €.

William Gaddis: Die Fälschung der Welt. Übersetzt von Marcus Ingendaay. DVA. 1232 S., geb., 34,99 €.