Der Sinnsucher

Die Wiederentdeckung von John Williams’ »Stoner« ist ein Geschenk des Himmels

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Roman »Stoner« des texanischen Autors John Williams (1922 - 1994) erschien vor fast 50 Jahren, doch bekannt und gefeiert wurde er erst mit seiner Wiederentdeckung in diesem Jahrhundert. »Stoner« - die Geschichte eines armen Farmerssohns in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus Amerikas Mittelwesten, der die Leidenschaft zur Literatur sowie die Liebe zum Lehrberuf entdeckt und sein Leben trotz vieler Enttäuschungen durch Wissensgewinn und Ernsthaftigkeit lebenswert gestalten will - berührt enorm. Erstaunlich, dass sie zunächst übersehen, ein Segen, dass sie wiedergefunden wurde.

Wie es kam, dass das Buch bei seinem Ersterscheinen 1967 weithin unbemerkt blieb, will einem nicht in den Kopf. Vielleicht, weil dieses Leben so wenig auffällig schien? Von der Farm seiner Eltern geht William Stoner an eine kleine Universität in Missouri. Seinen Freunden, erteilt er eine Absage, ihnen als Freiwilliger in den Ersten Weltkrieg zu folgen. Der schnellen Hochzeit mit der zarten Edith folgt eine erst groteske, dann unrettbar scheiternde Ehe.

Innig scheu ist das Band zu Tochter Grace, die im ersten Jahr ihres Lebens »nur die Zärtlichkeit ihres Vaters, seine Stimme und seine Liebe« kennt. Die Zuneigung seiner Studenten verdient er sich mit Hingabe an die Literatur. Die ebenso tiefe wie aussichtslose Beziehung mit Kathe-rine, die Intrigen von Vorgesetzten gegen den wissensdurstigen Kauz, jenen irgendwie aus der Zeit gefallenen »Don Quichotte des Mittleren Westens«, seine stille Beharrlichkeit, einen Weg zu gehen, für den es keine sonderliche Aussicht auf materiellen Gewinn, aber einen starken inneren Kompass zu geben scheint - davon erzählt John Williams so ruhig und klar, so streng und ernsthaft, so resolut und resigniert, dass daraus keine Langeweile, sondern fesselnde Lektüre entsteht.

Die Verwunderung über die anfängliche Kaum-Beachtung des Romans weicht nach dem Lesen der Gewissheit, hier wohl ein weiteres Beispiel für den Wankelmut der öffentlichen Meinung erlebt zu haben. Denn »Stoner« ist ein zutiefst menschen- und bildungsfreundlicher Roman. Die Geschichte eines Mannes, der nie seine Kräfte über- und die Zwänge der Gegebenheiten unterschätzt, sich aber die Möglichkeit nicht abhandeln lässt, eine eigene Spur zu ziehen.

Vielleicht ist es diese, in der heutigen Überhitzung aller präsentierten Dinge und Erscheinungen seltsam anmutende Unbeirrtheit, mit der Stoner stoisch seiner Wege geht, die neues Interesse wecken sowie das Gefühl, ihn bei einer lebenswerten Reise zu begleiten. Wir erspüren, wie Stoner es verspätet zu begreifen schafft, wer er ist. Wie er fühlt, endlich ein richtiger Lehrer zu sein - »eine Erkenntnis, über die er nicht reden konnte, doch eine, die ihn derart veränderte, dass niemand ihre Wirkung zu übersehen mochte«.

Das Kindheitserlebnis von Not und Entbehrung bewahrt ihn zeitlebens, auch nach vier Uni-Jahrzehnten, vor Realitätsverlust. Erst recht, als sein Land von der Weltwirtschaftskrise heimgesucht wird, weiß er die Anzeichen jener Verzweiflung zu deuten, die er seit Kindesjahren kennt. »Er sah gute Menschen langsam der Hoffnungslosigkeit anheimfallen, innerlich so zerbrochen wie ihre Vorstellungen von einem anständigen Leben; er sah sie ziellos durch die Straßen irren, die Augen blank wie Glassplitter; er sah sie mit dem bitteren Stolz von Menschen, die zu ihrer Hinrichtung schlurften, an Hintertüren klopften und um Brot baten, das es ihnen erlaubte, am nächsten Tag erneut zu betteln …«

Stoners ruhiger und prüfender Blick auf die Verwerfungen der Verhältnisse könnte es sein, was dem Leser - 2013 stärker als 1967? - das Gefühl gibt, dass sein Buch einen Gegenstand von Gewicht hat. Einen Gegenstand, der unter die Haut oder ans Leben gehen kann und nicht bloß spielt mit Themen von ausgedachter Brisanz.

John Williams: Stoner. Roman. A. d. Amerikanischen von Bernhard Robben. Deutscher Taschenbuch Verlag. 351 S., geb., 19,90 €.

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