Kein Glück kommt selten allein

Kathrin Zinkant über ein schwerlich messbares Sekundenphänomen der Hirnchemie - und warum es ohne Unglück selten zu haben ist

  • Kathrin Zinkant
  • Lesedauer: 4 Min.

Glück also. Was haben wir in den vergangenen Tagen nicht alles darüber erfahren, vor allem, dass das Gewese ums Glück sehr viel Widerstand erzeugt, vor allem bei ausgewiesenen Glücksexperten, weil die angeblich nicht so gern von Glück reden, sondern von Zufriedenheit, es sei denn, das Fernsehen ist gerade da. Aber grundsätzlich bleibt Glück ein schwerlich messbares Sekundenphänomen der Hirnchemie, während Zufriedenheit ein gemeinhin haltbarer Zustand ist.

Aber ob nun Zufriedenheit oder Glück, im Kern geht es sowieso nur darum zu erkennen, wer der Beste ist, und Listen wie den Glücksatlas zu erstellen, in denen ein norddeutsches Bundesland ganz vorn und ein ostdeutsches ganz hinten liegt. Wobei man sich auch in diesem Jahr wieder fragt, was eigentlich mit Bayern los ist, dem Superbundesland, das immer nur im Mittelfeld landet. Glückstechnisch. Was hat Hamburg denn, was Thüringen nicht hat, aber Oberbayern auch nicht?

Womit das zweite Dilemma offenkundig wird: Auf solche Fragen gibt die angeblich »empirische« Soziologie mit ihren Umfragen unter ein paar Tausend Bundesbürgern naturgemäß keine Antworten. Die hiesige Glückslandschaft könnte sich dadurch erklären, dass Geld und Erfolg allein nicht glücklich machen, oder aber doch, aber auf Umwegen, nämlich über den Frust, den Arbeitslosigkeit und Schulden erzeugen und den man dann im Alkohol zu ertränken sucht, was für einen Moment sogar funktioniert, weil Glücksgefühle im Gehirn entstehen, und da hilft erstmal jede Droge. Auf Dauer macht das aber krank und noch unglücklicher. Davon abgesehen haben Wissenschaftler jüngst herausgefunden, dass die Kurve des Glücks auch vom Alter abhängt - angefangen mit glücklicher Kindheit, hinab in die unglücklichen mittleren Jahre, dann aber wieder steil hinauf ins hohe Alter. Glück, soviel ist klar, kann sehr überraschend sein.

Weshalb sich zum Beispiel auch glücklich schätzen kann, wer zum zweiten Mal eine Zahlungsaufforderung der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten erhält - die erste, nun ja, ging leider verloren - und damit eine neue Chance bekommt, sich als unfreiwilliger Unterstützer einer Themenwoche »Glück« an Sendungen und Internet-Contents zu ergötzen, in denen über glückliches Sterben diskutiert oder über die Geheimnisse des glücklichsten Landes der Welt (tatsächlich Dänemark) fabuliert wird. Aber Medienschelte hat auch noch nie glücklich gemacht.

Nur: Was macht denn wirklich glücklich? Die Schlafstatt im richtigen Bundesland? Das richtige Alter? Oder wenn im Fernsehen endlich nicht mehr über Glück geredet wird, es sei denn, es ist Satire?

Im Grunde haben kluge Menschen schon vor langer Zeit alles gesagt, was über das Glück zu sagen wäre, und das meiste davon ist wenig erfreulich. Evolutionsbiologen, Ökonomen und Schriftsteller sind sich zunächst einmal darin einig, dass Glück ohne Unglück nicht zu haben ist. Shakespeare wusste das schon, als er Orlando seufzen ließ, Glückseligkeit sei nur durch andrer Augen zu erblicken - hier: der Bruder, der bekommt, was Orlando nicht haben kann, nämlich die Frau seines Herzens.

Die Psychologen und späteren Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann und Amos Tversky verweisen etwas zeitgemäßer auf das Beispiel des Angestellten, der über eine Gehaltserhöhung von fünf Prozent unterrichtet wird. Der Angestellte ist glücklich, aber nur solange, bis er erfährt, dass seine Kollegen zehn Prozent bekommen. Für den Mann selbst hat sich nichts geändert. Trotzdem ist er jetzt unglücklich - und zwar zu recht, weil die Welt nicht ungerecht sein darf. Andererseits stellte der US-amerikanische Schriftsteller Gore Vidal einst fest, dass Erfolg zu haben nicht genüge - die anderen müssten scheitern. Und so gesehen muss die Welt wohl ungerecht sein, sonst gäbe es kein Glück.

Was alles in allem zu dem Schluss führt, dass kaum etwas verzichtbarer ist als Glück, und Zufriedenheit hoffentlich auch anders zu generieren ist. Erst vor ein paar Tagen haben Forscher der privaten Bremer Jacobs University herausgefunden, dass Europäer am zufriedensten sind, wenn der Wohlstand in den europäischen Ländern möglichst gerecht verteilt ist. Eine glückliche Erkenntnis. Was die Menschen dafür zu tun bereit wären, darüber schweigt die Studie unglücklicherweise.

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