nd-aktuell.de / 25.11.2013 / Kultur / Seite 16

Gegängelte Musik

Deutsche Oper Berlin: Konzert zum 80. Geburtstag von Krzysztof Penderecki

Stefan Amzoll

Etwas vergeht und wird nicht mehr, ist auf immer vergangen. Kein Motto dies, sondern Wirklichkeit des in Rede stehenden Abends. Er galt Pendereckis 80. Geburtstag (am Samstag). Dem Jubilar haben die maßgeblichen Organe der Öffentlichkeit höchste Aufmerksamkeit gewidmet.

In Berlin hallte es nicht so sehr. Wohl nur dieses Konzert kam. Offiziös der Rahmen und die Absichten: »der Facettenreichtum der heutigen polnischen Musik« solle aufleuchten. Zusammen fanden Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Diplomatie, dem Musikleben der Bundesrepublik und Polens. Gewiss auch Penderecki-Fans. Ob sie auf ihre Kosten kamen?

Müd’, alt das Programm, das abspulte, polnische und deutschen Musiker spielten, rar die Momente, in denen das Ohr aufmerken durfte. Vor der Pause nur Penderecki-Nummern, danach Uraufführungen. Sklerotisch aufs 19. Jahrhundert gerichtet, schon das erste Stück des polnischen Nationalkomponisten, das Streichquartett Nr. 3 von 2008 mit dem Motto »Blätter eines nicht geschriebenen Tagebuchs«, schlicht Abklatsch aus entkerntem Chopin und heimatlich getönten Rührungen.

Als hätten die Veranstalter (Europäisches Forum Polnischer Musik und Deutsche Oper Berlin) diese »Blätter« vor Augen gehabt, ließen sie Herbstlaub auf die Bühne tragen und auf Videowand herbstliche Motivik in Digital Graphic Art, der reine Kitsch, streuen. Nicht das Werden, das Vergehen erhielt Rang. Zweifelhaften.

Ort ist die »Tischlerei« der Deutschen Oper Berlin. Die war wirklich mal Tischlerei, zuständig für die Bühnenbauten. Seit voriger Saison ist der Raum Konzertsaal, nicht zu groß, nicht zu klein, mit exzellenter Akustik, vorbehalten an sich und zuerst der experimentierfreudigen jungen Kunst und Musik. Alles frühere Inventar ist ausgeräumt: Holzblöcke und Hobelbänke, Kreissägen und Bohrmaschinen. Leider. Derlei würde sich fantastisch für die Geräuscherzeugung à la musikalischer Futurismus eignen.

Weit entfernt davon fast alle musizierten Stücke. Pendereckis »Cadenza« für Solobratsche wirkte so griffig und schwül melodiös, dass es dem Ohr vor Argwohn schwindelte. Kaum erträglich genauso das sentimentale Quartett für Klarinette und Streichtrio von 1993. Stücke der Abkehr, Musik im Maßstab des Niedergangs der polnischen Moderne. Anders der Penderecki der 1960er Jahre. Da galt er als jemand, der mittendrin steht in der beachtlich breiten Bewegung, die zeitgenössische Musik seines Landes und international voranzubringen. Penderecki experimentierte mit Mitteln sonoristischer Verfahren, er vitalisierte Zufallsmethoden, trug unkonventionelle Spielfreude, auch Komik, in die Musik. (1. Streichquartett, Lukas-Passion, Stabat Mater, Anaklasis, Sonate für Violoncello und Orchester, »Threnos, den Opfern von Hiroshima« für 56 Streicher, Oper »Die Teufel von Loudon« u. a.). Einzig das »Capriccio per Siegfried Palm« für Cello solo, ohne übermäßige Theatralik glänzend gespielt von dem jungen, elanvollen Lukasz Pawlikowski, wies in diese produktive Periode. Sofort kam Leben in die »Tischlerei«. Das Stück erhielt den meisten Beifall.

Mit der viel gerühmten »Polnischen Schule ist Pendereckis Name unlöslich verbunden. Während der siebziger, achtziger Jahre dann Schritt um Schritt der Ausstieg im Zeichen einer diffusen Neoromantik. Die Folge: rapider Verlust gestalterischer Möglichkeiten. Selber schuld, wer sich die eigenen Quellen der Inspiration im Namen einer «menschlichen Musik», die «göttlichen Glaubenssätzen» folgt, beschneidet.

Penderecki - fortan ein Klassiker der Kontra-Moderne. Während die Fachwelt skeptisch bis bissig reagierte, pries ihn die Musiköffentlichkeit über die Maßen. Penderecki erhielt die schicklichsten nationalen und begehrtesten internationalen Orden, zahlreiche Ehrendoktorwürden, diverse hoch dotierte Preise der Kunst und Musik. Inmitten dieses Querstands scheint der Komponist sich wohlig zu recken. Seine Musik wird dadurch nicht besser. Die der Nachrücker gewiss auch nicht.

Zuletzt kamen Uraufführungen von fünf polnischen Komponisten, Schüler, Freunde, Verehrer des Meisters, die meisten von ihnen gleichfalls mit Preisen bedacht und an internationalen Häusern ausgebildet. Vier aus der Gruppe sind über sechzig Jahre alt, was noch nichts besagt. Die Stücke wirkten mit geringen Abstrichen allesamt altbacken. Attacken kennen sie nicht. Mit so radikalen wie extrem subtilen Mittel der Welt zu erwidern, ist nicht ihr Ding. Sie gehen den bequemen Weg.